Im Jahr 1729 brannte die Münchner Residenz ab. Eines der dabei zerstörten Objekte war die Mitteltafel des Altars der Himmelfahrt und Krönung Mariens, geschaffen von Albrecht Dürer zwischen 1507 und 1509 im Auftrag des Frankfurter Kaufmanns Jakob Heller. Der Dürersche Teil des Altars, andere stammen von Mathias Grünewald, ist der Mittelpunkt in Ulinka Rublacks neuem Buch über den Nürnberger Künstler, seinen Mäzen und das Schicksal des Bildes. Heute ist dieser Teil des Heller-Altars nur als Kopie aus dem frühen 17. Jahrhundert von Jobst Harrich erhalten. Von DIETER KALTWASSER
Das hier vorgestellte Buch ist weit mehr als nur ein weiteres Dürer-Buch: Es ist das Resultat einer 15-jährigen Forschungsarbeit der preisgekrönten Autorin, die seit 1996 in Cambridge Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit lehrt. In ›Dürer im Zeitalter der Wunder – Kunst und Gesellschaft an der Schwelle zur globalen Welt‹ zeichnet sie die globalen Verbindungen der Händler nach, die im 16. und frühen 17. Jahrhundert die kreativen Akteure des europäischen Kunstmarktes waren.
Albrecht Dürer wurde am 21. Mai 1471 als Sohn eines Goldschmiedes in Nürnberg geboren. Die Prägung seiner Künstlerlaufbahn erfolgte maßgeblich durch sein Elternhaus, den sozialen Stand sowie seiner Lehrzeit in der wirtschaftlich prosperierenden Stadt. Er absolvierte eine Ausbildung in der Nürnberger Werkstatt des Michael Wolgemut im Bereich Malerei und Grafik. 1475 heiratete er Agnes, Frey, die später für die Vermarktung seiner Drucke verantwortlich war und nach seinem Tod als Alleinerbin seine Werke weiter vermarktete. Sein Leben lässt sich in zwei Phasen unterteilen: Die erste Hälfte gehört dem ausgehenden 15. Jahrhundert, die zweite dem Beginn des 16. Jahrhunderts. Sein ›Selbstbildnis im Pelzrock‹ (1500) gehört zu den berühmtesten der Kunstgeschichte.
Albrecht Dürer wird in der kunsthistorischen Forschung als einer der herausragenden Künstler der Renaissance betrachtet, der auch der »mathematischste Kopf« unter den Künstlern seiner Zeit war. Bereits zu Lebzeiten des Künstlers wurde dessen herausragende Bedeutung von Zeitgenossen wie Michelangelo, Raffael, Melanchton oder Luther wahrgenommen. Bis heute zählen Motive wie ›Die betenden Hände‹ oder ›Die vier Apokalyptischen Reiter‹ zu den Ikonen deutscher Kunst und sind noch in den Werken der Gegenwartskunst wiederzufinden.
Auch Albrecht Dürers Monogramm zeugt von seinem künstlerischen Genie, das stilisierte »AD«, das er in seine Gemälde und Stiche und sogar in seine vorbereitenden Zeichnungen einfügte. Die meisten deutschen Maler der Epoche signierten ihre Werke nicht, doch Dürer war bestrebt, die schöpferischen Eigentumsrechte an seinen Werken durchzusetzen.
Die Autorin beschreibt, welchen Einfluss die Kaufleute ausübten, »wie sich dieser im Laufe der Zeit veränderte und wie er auf verschiedenen Arten von Akteuren, wie den Mäzenen, den Fernhändlern oder den professionellen Kunstagenten in ihrer Funktion als Makler, ausagiert wurde. Diese Beziehungen halfen zu bestimmen, von wem, warum und wie dem Kunsthandel selbst Wert beigemessen wurde.«
Ulinka Rublack erzählt die »Biografie eines verlorenen Meisterwerks der Renaissance: mit dem Altarbild, das der Kaufmann Heller bei Dürer in Auftrag gegeben hat.« Und seiner erstaunlichen Geschichte: »Wie es vor der Reformation hergestellt und geschätzt wurde, als Deutschland zu dem europäischen Land wurde, das am meisten von Kriegen im Namen der Religion zerrissen wurde.« Sie beschäftigt sich dazu auch mit neun Briefen Dürers an Jakob Heller, die zwischen dem 28. August 1507 und dem 12. Oktober 1509 geschrieben wurden. Denn es kam zum Streit zwischen Dürer und Heller; er entzündete sich vor allem am schleppenden Fortgang des Projekts und an ihrer unterschiedlichen Auffassung des Altarbildes als Gebrauchsgegenstand im Gegensatz zu seinem intellektuellen Anspruch.
Dann tat Dürer etwas, berichtet Rublack, »was kein Maler zuvor getan hatte. Er platzierte ein Bild von sich selbst in der Mitte der Tafel, als schlanke isolierte Figur in einer Landschaft, eine Figur, mit der niemand gerechnet haben wird, wenn er von den monumentalen Aposteln aufblickte, um die Himmelfahrt und die Krönung der Jungfrau Maria zu bestaunen.« Dürers Entscheidung, »sich so prominent im Heller-Altar zu platzieren«, schreibt die Autorin, »resultierte sicherlich aus dem Wunsch heraus, sich im Umfeld der Bewohner und Besucher Frankfurts zu vermarkten und die eigene Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis zu stellen.«
Im Jahr 1511 fasste Albrecht Dürer, der sich bei der Auftragsarbeit des Altarbilds verrechnet und zu wenig Honorar verlangt hatte, einen radikalen Entschluss: Nachdem er sich mit dem Frankfurter Kaufmann Jacob Heller zerstritten hatte, hörte er auf, Altarbilder zu malen, und wendete sich anderen Werken zu. Wie durch ein Brennglas lässt sich das neue Verhältnis von Kunst, Sammeln und Handel in Europa bis zum Dreißigjährigen Krieg an diesem Konflikt ablesen.
Was ihn dazu führte, sich fortan auf lukrativere Druckgrafiken zu konzentrieren, schildert die Autorin eindrücklich und detailliert, denn damals hatten Gemälde noch lange nicht den hohen Status wie heute. Im frühen 16. Jahrhundert wurde die Kunst Teil eines wachsenden Sektors von Luxusgütern und sie erfuhr eine umfassende Kommerzialisierung. Für ihre Verbreitung und Entstehung waren Kaufleute und ihre Mentalität entscheidend. Das Buch von Rublack versetzt uns in die Gedanken- und Gefühlswelten Dürers und der Kaufleute seiner Zeit.
Am 6. April starb Albrecht Dürer in seiner Heimatstadt Nürnberg. Am Ende seines Lebens stand, so erfährt der Leser, »Dürer selbst an der Spitze eines Zeitalters globalen Handels, das eine neue Faszination für Naturraritäten und das Sammeln von Kunstobjekten begründete, die in Kuriositätenkabinetten vorgeführt wurden.« Diese Raritäten regten die Neugier des Künstlers an und erweiterten seinen Bildungshorizont ebenso wie seine Weltsicht; sie versetzten ihn in die Lage, »Beziehungen zu Herrschern, Kaufleuten und Gelehrten zu pflegen, die ihm weiteres Ansehen einbrachten.«
Die Autorin erinnert uns in ihrem meisterhaften Buch nicht zuletzt daran, wie reich und vielfältig die Verflechtungen und Verbindungen von Menschen, Ideen und der materiellen Welt bereits im sechzehnten und frühen siebzehnten Jahrhundert waren – zu einer Zeit, die wir vielleicht zu sehr mit brutalen Religionskriegen verbinden.
Titelangaben
Ulinka Rublack: Dürer im Zeitalter der Wunder
Kunst und Gesellschaft an der Schwelle zur globalen Welt
Aus dem Englischen übersetzt von Nastasja S. Drexler Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2024
Klett-Cotta 2024
640 Seiten, 42 Euro