Zweimal schon haben Delpha Wade und Tom Phelan gemeinsam ermittelt. Tom von seiner Detektei »Phelan Investigations« im texanischen Beaumont aus. Delpha, nach 14 Jahren hinter Gittern, als frischgebackene Sekretärin des jungen Ermittlers. Ging es bei ihrem letzten gemeinsamen Fall – nachzulesen in Lisa Sandlins Thriller Family Business (2017, deutsche Übersetzung 2020 im Suhrkamp Verlag) – um zwei Brüder, ist es diesmal ein weibliches Zwillingspaar, das die Detektive anheuert. Die beiden Frauen vermuten, dass jemand sie langsam mit Arsen vergiften will. Und weil eine von ihnen noch ein paar Monate im Gefängnis von Gatesville absitzen muss, ist der Fall doppelt brisant und es drängt die Zeit. Von DIETMAR JACOBSEN
Arsen scheint es zu sein, womit jemand das Zwillingspaar Ruby und Emerald McClung – die eine noch monatelang hinter Gittern, die andere gerade aus der Haft entlassen – langsam aus dem Weg räumen will. Jedenfalls glauben das die beiden Schwestern und wenden sich deshalb über Delpha Wade, mit der sie bis Anfang 1973 im selben Gefängnis saßen, an die Detektei »Phelan Investigations«. Bei der ist Delpha nach ihrer Entlassung als Sekretärin untergekommen und gerade dabei, sich zur guten Seele des Unternehmens zu entwickeln.
Allein Tom Phelan, Delphas Boss, wird bald auf eine andere Spur aufmerksam. Könnte es nicht auch sein, dass die Schwestern Opfer von medizinischen Experimenten geworden sind, die von skrupellosen Firmen an Menschen, die sich kaum zu wehren vermögen, vorgenommen werden? Seit die Kommerzialisierung und Privatisierung des Gefängniswesens in den USA voranschreitet, also auch Zuchthäuser zu Institutionen werden, deren Existenz gefährdet ist, wenn sie keinen Gewinn einfahren, scheint es offensichtlich nicht ganz unüblich, die für Jahre weggesperrten Männer und Frauen in den Gefängnissen als so billige wie willfährige Laborratten zu missbrauchen. Denn wer nähme nicht ein – noch dazu von den verantwortlichen Ärzten kleingeredetes – gesundheitliches Risiko auf sich, wenn als Lohn Geld und eventuell sogar ein paar Monate Hafterlass in Aussicht gestellt sind.
Gefängnisinsassen als Laborratten
Der Auftrag der Zwillinge ist Lisa Sandlins dritter Roman um ihre Heldin Delpha Wade. Die hat 14 Jahre im Gefängnis gesessen, nachdem sie einen Mann, der sie vergewaltigen wollte, getötet hat und von dessen Vater auf Grund eine Falschaussage hinter Gitter gebracht wurde. Wieder auf freiem Fuß, beschafft ihr Bewährungshelfer Joe Ford ihr die Sekretärinnen-Stelle bei seinem alten Freund Tom Phelan. Der hat bei einem Unfall auf einer Ölplattform einen Finger eingebüßt und das Geld, das ihm die Versicherung dafür ausgezahlt hat, in eine Detektivagentur im texanischen Beaumont investiert. Nun braucht er nur noch ein paar lukrative Aufträge. Und weil Delpha nicht nur älter, sondern auch die weitaus Lebensklügere und Erfahrenere von ihnen beiden ist, besorgt sie ihrem neuen Boss nicht nur seine ersten Kunden, sondern tut auch bald weit mehr als das, was in den Aufgabenbereich einer Sekretärin fällt.
Auch der zweite Fall, in den sich Tom und Delpha in Der Auftrag der Zwillinge teilen, ist einer der vertrackten Art. Und die beiden Detektive merken schnell, wie leicht man in einer Welt, in der Rassismus noch etwas ganz Alltägliches scheint, anecken kann, wenn man sich im Auftrag eines jungen Mexikaners daran macht, herauszubekommen, warum und wohin die Amerikanerin plötzlich verschwunden ist, die er zu heiraten gedachte. Ist sie tatsächlich tot und begraben, wie ihre Familie frech behauptet? Oder haben die Eltern nur mit einem Trick dafür gesorgt, dass es zu keiner unstandesgemäßen Hochzeit ihrer Tochter kommen kann? Aber warum hat sich diese dann nicht gegen dieses abgekartete Spiel gewehrt?
Zwei brisante Fälle und eine Menge Zeitgeschichte
Lisa Sandlins dritter Delpha-Wade-Roman besitzt all jene Vorzüge, die schon an seinen beiden Vorgängern auffielen: ein Ermittlerpaar, das sich langsam auch menschlich näher kommt, sowie viel in die frühen 1970er Jahre gehörende Zeitgeschichte der USA. Die Watergate-Affäre ist in aller Munde, hat aber noch nicht dafür gesorgt, dass Nixon das Weiße Haus verlassen muss. In den Kinos laufen Filme wie Serpico und Jesus Christ Superstar, wobei Letzterer die amerikanischen Christen teilweise auf die Barrikaden treibt. Weltkrieg-2-Veteranen wollen partout nicht wahrhaben, dass es einen Unterschied gibt zwischen ihrer einstigen Anti-Hitler-Mission sowie jener der nach Vietnam geschickten jungen Männer der Gegenwart. Und auf alltäglichen Rassismus und das Denken in Stereotypen kann man praktisch an jeder Straßenecke stoßen.
Es ist diese Zeit mit all ihren Widersprüchen, in der Sandlins sympathische Heldin ihren Weg zurück in eine Normalität sucht, wie es sie wohl kaum wieder für sie geben wird. Umso wichtiger, dass sie diesen Weg nicht allein gehen muss, sondern Menschen begegnet, die in ihr nicht in erster Linie die auf Bewährung aus dem Gefängnis Entlassene sehen, die zwei Männer getötet hat. Und der auch diesmal wieder ein großer Anteil daran zufällt, dass die beiden Fälle, mit denen sich »Philan Investigations« herumschlagen muss, am Ende gelöst sind.
Überzeugende Hauptfigur
Der Auftrag der Zwillinge überzeugt vor allem durch seine Hauptfigur. Diese Delpha Wade ist intelligent, sympathisch und hat Potenzial. Und auch das Verhältnis zwischen Tom und Delpha besitzt Zukunft. Da wäre noch einiges denkbar. Warum die beiden also nicht noch ein Stück weiter auf ihrem Weg begleiten? Zunächst scheint Sandlin – vielleicht nicht zuletzt irritiert durch die Tatsache, dass ihr dritter Delpha-Wade-Roman in ihrer Heimat noch nicht erschienen ist – mit dem für Ende 2024 angekündigten Roman Sweet Vidalia aber ein wenig vom Thriller-Genre abzurücken. Hoffen wir, dass daraus kein Abschied für immer wird. Denn das wäre wirklich schade.
Titelangaben
Lisa Sandlin: Der Auftrag der Zwillinge. Ein Fall für Delpha Wade
Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Stumpf
Berlin: Suhrkamp Verlag 2024
366 Seiten. 17 Euro
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