Wer das Cover anschaut, glaubt sicher die Lösung des Rätsels bereits gefunden zu haben: Das längste Tier der Welt muss das sein, dessen Kopf man auf dem langen Hals gar nicht sieht. Oder? ANDREA WANNER war überrascht vom Ergebnis der fantasievollen Geschichte.
Ein kleines Mädchen und ein Affe sitzen in der Manege eines Zirkuszelts und sinnieren, welches wohl das längste Tier ist. Ein Warzenschwein? Das ist natürlich Quatsch. Ebenso ein Wasserfloh. Der Affe rät weiter, zählt auf, was ihm an Tieren so in den Kopf kommt. Darunter auch die Giraffe. Aber von wegen: Die Zustimmung bleibt aus. Stattdessen begeben wir uns auf eine höchst ungewöhnliche Reise. Wir beginnen mit einem Blick auf die Erde. Und schauen dann auf etwas, was auf der Erde wächst: eine Beere, genauer gesagt, eine Erdbeere. Schon geht’s weiter. Was lässt sich aus Erdbeeren machen? Kuchen? Marmelade? Nein, es ist etwas anderes, sehr Leckeres: Erdbeereis. Und von dem Eis sollte es so viel geben, dass es für einen ganzen Berg reicht: den Erdbeereisberg. Auf den kann man mit kleinen Gondeln in Erdbeerform fahren: der Erdbeereisbergbahn. Und wo hält die? Natürlich am Erdbeereisbergbahnhof. Und dort oben wartet der Erdbeereisbergbahnhofshund.
Spätestens jetzt hat man das Prinzip begriffen, das auf einer Besonderheit der deutschen Sprache beruht: wir können beliebig lange Wörter bilden, indem wir Substantive aneinanderreihen. Das kann man fast bis ins Unendliche treiben und vom Erdbeereisbergbahnhofshund ist es dann auch tatsächlich noch ein ganzes Stück, zu dem unter anderem ein Spiegelei, eine Speisekarte und ein Schuh gehören. Und mehr wird garantiert nicht verraten von dieser wundervoll verrückten Spielerei, die sich Klaus Cäsar Zehrer ausgedacht hat. Der Spaß ist grandios und witzig, ausgefallen und das Tier garantiert das allerallerlängste Tier der Welt.
Uli Krappen hat sich dazu die perfekten Bilder ausgedacht mit zahlreichen Details, mit bewusster Unschärfe und Andeutungen, mit Kiwischirmen und Spiegeleiohrringen, Marienkäferringen und einer Ausdrucksstärke, die einen ganz eigenen Sog entwickelt. Mit jeder neuen Doppelseite wird das Tier länger – und ihre Ideen diesen Prozess zu illustrieren, sind unerschöpflich.
Abtauchen in diese Fantasiewelt ist inspirierend und abenteuerlich – und vielleicht regt sie zur Kreation eigener Superlative an. Wir wissen ja jetzt, wie das geht.
Titelangaben
Klaus Cäsar Zehrer: Das längste Tier der Welt
Illustriert von Uli Krappen
Zürich: Diogenes 2024
48 Seiten, 20 Euro
Bilderbuch ab 6 Jahren
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