Wenn sie ein Junge geworden wäre, hätte ihr Vater Frank, ein eingeschworener Beatles-Fan, sie John genannt. Nun heißt sie also Yoko. Beherrscht das Fleischerhandwerk von Kindesbeinen an, hat aber inzwischen auf die Herstellung von Glückskeksen für Restaurants und Feiern aller Art umgesattelt. Was zum einen weniger blutig ist. Andererseits aber, wie gleich am Anfang von Bernhard Aichners neuem Roman Yoko deutlich wird, schützt auch ein unblutiger Job nicht davor, in überaus blutige Auseinandersetzungen zu geraten. Von DIETMAR JACOBSEN
Zwei Chinesen, die im Hinterhof eines China-Restaurants einen dort angebundenen kleinen Hund aus Spaß zu Tode quälen, werden der eine Glückskeksmanufaktur betreibenden Yoko zum Verhängnis. Denn die junge Frau, die gerade frische Ware vorbeigebracht hat, mischt sich spontan in das brutale Treiben ein. Und wird kurz darauf selbst zum Opfer. Denn die zur chinesischen Mafia gehörenden Männer kennen nur eine Art, auf Widerspruch zu reagieren: mit Gewalt.
Ein toter Hund löst ein Drama aus
Der in Innsbruck lebende Schriftsteller, Künstler und Fotograf Bernhard Aichner (Jahrgang 1972) hat mit Büchern wie seiner Trilogie um die Totenfrau Brünhilde Blum – Totenfrau (2014), Totenhaus (2015), Totenrausch (2017) – oder den Romanen Bösland (2018) und Der Fund (2019) im letzten Jahrzehnt endgültig zu seinem ganz persönlichen, unverwechselbaren Ton innerhalb der deutschsprachigen Thrillerliteratur gefunden. Mögen die einen auch der Ansicht sein, dass es in den Büchern des Österreichers ein bisschen zu gewalttätig zugeht, schätzen ihn andere hingegen gerade wegen der Brutalität seiner Geschichten.
Und Aichner gönnt seiner Leserschaft auch diesmal kaum Atempausen und lässt seine Heldin nach einer kurzen Phase des Zu-sich-Kommens nach dem ihr Widerfahrenen mit derselben Wucht zurückschlagen, der sie selbst ausgesetzt war. Gefangene machen? Nicht mit dieser Frau Ende 20, die den Umgang mit Messern nicht umsonst schon als Heranwachsende aus dem Effeff gelernt hat.
Kurz und knapp sind die Sätze, mit denen der Autor den Rachefeldzug seiner Heldin beschreibt. Jede der vielen Dialogzeilen ist in sich stimmig – keine überflüssig. Und alle tragen sie dazu bei, dass man das Buch am liebsten erst dann aus der Hand legen würde, wenn man es ausgelesen hat. Bis dahin hat Yoko nicht nur kurzen Prozess mit den beiden Männern gemacht, die sie entführt, vergewaltigt und schwer verletzt neben ihrem brennenden Auto im Wald liegen gelassen haben. Denn wenn Aichners Romanpersonal aufräumt, dann macht es das auch richtig. Was in diesem Fall bedeutet, sich auch diejenigen vorzunehmen, für die die beiden Killer gearbeitet haben.
Eine Metzgerin auf dem Rachepfad
Yoko ist im Übrigen der Name, den ihr Vater einst für sie aussuchte. Eigentlich hatte er sich einen Jungen gewünscht und der sollte nach dem Sänger seines Lieblingsliedes, Imagine, John heißen. Als es dann eine Tochter wurde, war der Name Yoko nur logisch. Nicht logisch, sondern tragisch war, dass ihre Mutter bei der Geburt starb. So wuchs Yoko als Halbwaise auf. Und als der Vater an Krebs erkrankte, sechs Jahre dahinsiechte, gepflegt werden musste und seine Metzgerei nicht mehr weiterführen konnte, verzichtete die Tochter darauf, zum Studium in eine fremde Stadt zu gehen, und übernahm die väterliche Metzgerei mit allem, was dazugehörte.
Aber war das Zusammenleben mit ihrem Vater und dessen bestem Freund Richard, einem Kriminalpolizisten, der ihr auch in der Gegenwart gegen die Chinesen beistehen könnte, tatsächlich so harmonisch, wie es ihr bisher schien? Die hinter ihr liegende Gewalterfahrung löst plötzlich Erinnerungen aus, die eine andere Sprache sprechen. Eine Sprache, die sie auch nach und nach auf Distanz zu Richard gehen lässt.
Der Tarantino-Effekt
Mit Yoko hat Bernhard Aichner eine weitere Frauengestalt geschaffen, die einem lange nicht aus dem Kopf geht. Ein bisschen ähnelt sie der Totenfrau Brünhilde Blum, die ebenfalls nicht ruht, bis sie den Mörder ihres Mannes gefunden und bestraft hat. Auch Blum hat das Geschäft ihrer verstorbenen Eltern übernommen. Auch sie führt es zusammen mit einem Mitarbeiter. Auch ihre eiskalt geplante Rache fordert mehr als ein Opfer. Und auch sie wird bitter von Menschen enttäuscht, die ihr nahegestanden haben.
In Yoko kommt freilich noch ein gewissen Tarantino-Effekt hinzu. Nicht nur, dass die junge Frau es mit einer ganzen Mafia-Familie aufnehmen muss, lässt unwillkürlich an die von Uma Thurman gespielte Beatrix Kiddo in den beiden Kill Bill-Filmen (2003/2004) denken. Auch die Komposition, bei der eine einsame Rächerin sich nach und nach all jene Personen vorknöpft, die ihr einst Leid zufügten, erinnert nicht von ungefähr an das Meisterwerk des amerikanischen Regisseurs.
Am Ende von Aichners Roman jedenfalls hat dessen Protagonistin erst einmal Ruhe. Nicht zuletzt deshalb, weil sie sich in eine andere Person verwandelt hat – John. Aber wird sie diese neue Identität samt dem Ortswechsel, den sie vornimmt, tatsächlich schützen vor der Rache der Chinesen? Ein Folgeband ist schon in Arbeit. Und man darf sicher sein, dass Bernhard Aichner gar nicht anders kann, als John da weitermachen zu lassen, wo Yoko aufhörte.
Titelangaben
Bernhard Aichner: Yoko
Hamburg: Wunderlich im Rowohlt Verlag 2024
333 Seiten. 23 Euro
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