Digitalspielkultur | Christian Huberts über Schnittstellen von digitalen Spielen, Erinnerungskultur und wissenschaftlichen Herausforderungen
In einem Interview mit RUDOLF THOMAS INDERST gibt Christian Huberts Einblicke in seine Arbeit an der Schnittstelle zwischen Games und Gesellschaft. Er spricht über die Bedeutung von Erinnerungskultur in digitalen Spielen, seine Erfahrungen als Kulturwissenschaftler und die Herausforderungen der wissenschaftlichen Arbeit im Bereich der Game Studies.
Rudolf Thomas Inderst (RTI): Guten Tag, danke, dass Du Dir die Zeit für unsere Unterhaltung nimmst. Seit unserem ersten Aufeinandertreffen 2011 im Rahmen des Researching Bar Camps in Wiesbaden ist ja doch „etwas“ Zeit vergangen. Bitte stelle Dich unseren Leser kurz vor und nimm uns ein wenig in Deinen Alltag mit.
Christian Huberts (CH): Sehr gerne! Mein Name ist Christian Huberts und in den vergangenen 13 Jahren war ich als »mächtiger Kulturwissenschaftler« an der Schnittstelle von Spielekultur und Gesellschaft unterwegs. Das heißt, ich habe in Form von Fachartikeln, journalistischen Texten, Vorträgen, Workshops und Expertengesprächen analysiert und beschrieben, wie sich gesellschaftliche Phänomene in Computerspielen sowie andersherum widerspiegeln. Zum Beispiel habe ich mich damit auseinandergesetzt, wie Armut in Games dargestellt wird, warum der deutsche Games-Feuilleton so schwach ist oder wo sich Ideologie in Games einschleicht. Daneben gab es noch berufliche Schlenker in die redaktionelle Arbeit, etwa für das Handbuch Gameskultur, und in die Spieleproduktion, etwa bei der App Konterbunt. Als alltägliches Handwerkszeug dafür nutze ich nach wie vor mein Studium der Kulturwissenschaften und ästhetischen Praxis: Bei jedem neuen Spiel, das mein Interesse weckt, frage ich mich, was es uns über unsere Kultur offenbart und letztlich auch über mich als Nutzer. Und umgekehrt reizt mich jede kluge Theorie aus anderen Bereichen dazu, sie auch an Games zu erproben und zu schauen, was dabei herauskommt.
RTI: An welchem Projekt hast Du zuletzt gearbeitet und wie war Deine Rolle dabei?
CH: In den vergangenen fünf Jahren habe ich primär bei der Stiftung Digitale Spielekultur gearbeitet und dort als Projektmanager an verschiedenen Projekten mitgewirkt, etwa an einer Fachkonferenz zu Barrierefreiheit im Gaming oder dem „Quartett der Spielekultur“. Die freiberufliche Arbeit ist dabei etwas an den Rand gerückt, aber da die Stiftung ebenso Brücken zwischen Games und Gesellschaft baut, lief mein Übergang in ein reguläres Arbeitsverhältnis recht reibungslos. Ein besonderer Schwerpunkt lag während der ganzen Zeit auf der Erprobung von Erinnerungskultur mit Games, also der Frage, wie sich digitale Spiele für das Gedenken an die Vergangenheit und die historisch-politische Bildung einsetzen lassen. Zuletzt habe ich in diesem Zusammenhang das von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft und dem Bundesministerium für Finanzen geförderte Projekt ›Let’s Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort‹ geleitet und zusammen mit dem Deutschen Kulturrat und meinen großartigen Kolleginnen bei der Stiftung Digitale Spielekultur umgesetzt. Das war eine in vielerlei Hinsicht intensive Zeit. Wir haben Workshops für Mitarbeiterinnen von NS-Gedenkstätten und Museen entwickelt und vor Ort mit den Mitarbeiterinnen durchgeführt. Außerdem haben wir verschiedene Vermittlungsformate vor Ort umgesetzt, etwa Game Jams mit Schulklassen. Im Endspurt haben wir auch noch die Twitch-Streams von Maurice Weber und Co. gecrasht. Die Ergebnisse des Projekts sind sowohl in die „Datenbank: Games und Erinnerungskultur“, die besonders relevante Spiele versammelt und einordnen lässt, als auch in das neue „Themenportal: Games – Erinnerung – Kultur“ geflossen. Besonders bereichernd für mich waren dabei die vielen Gespräche mit den Praktikerinnen aus der Erinnerungskultur, die sich mit großer Offenheit digitalen Spielen genähert und viele ausgezeichnete, durchaus kritische Fragen gestellt haben. Gerade in der Auseinandersetzung mit NS-Unrecht sind Computerspiele und ihre Spielentwickler*innen besonders gefordert, sich über ihre Regelsysteme und Rhetoriken bewusst zu werden, um nicht revisionistische oder verharmlosende Narrative zu reproduzieren. Insbesondere in Zeiten, in denen die Erinnerungskultur zu unserer NS-Geschichte von Rechtsaußen offen attackiert wird.
RTI: Wie wird es nun weitergehen?
CH: Zunächst mit einer kleinen Ruhe- und Reflexionspause. Bei „Let’s Remember!“ habe ich viele neue Eindrücke gewonnen, die erstmal verarbeitet werden wollen. Wir haben alle über die Schrecken der NS-Vergangenheit in der Schule gelernt, aber im direkten Austausch mit Expert*innen an den Orten der Erinnerung hat sich mein Bewusstsein über die deutsche Tätergesellschaft und die Verdrängungsprozesse in der Nachkriegszeit, die sich im Grunde genommen bis heute fortsetzen, noch einmal grundlegend erweitert. Das heißt auch, ich möchte unbedingt am Thema dranbleiben und Games weiterhin als verantwortungsbewussten Beitrag zu einer digitalen Erinnerungskultur begleiten, insbesondere im Lichte aktueller politischer Entwicklungen. Ich kann nur noch nicht genau sagen, wo und wie das passieren wird. Daneben freue ich mich aber auch einfach, wieder ein bisschen mehr Zeit für die freiberufliche Arbeit zu haben, kleinere Texte zu schreiben, Meinungen in Podcasts zu droppen oder im Radio dummdreiste Games zu verreißen.
RTI: Meinen Studierenden empfehle ich gerne Dein Buch Raumtemperatur. Marshall McLuhans Kategorien »heiß« und »kalt« im Computerspiel. Dieses erschien 2010. Wird es zum 15-jährigen eine Neuauflage geben? Und wie ist das überhaupt nun wirklich mit Dir und der Digitalspielforschung – kann die Scientific Community mit einem Comeback rechnen?
CH: Es freut mich sehr, dass Raumtemperatur nach wie vor gelesen wird. Als ich das Buch mit der kostenlosen Cool Edition vor wenigen Jahren einem kleinen Remaster unterzogen habe, war ich selbst überrascht, wie gut das Teil gealtert ist, auch wenn ich heute ein paar Dinge definitiv anders schreiben würde. Ein Remake ist aber eher unwahrscheinlich. Meinen letzten vollwertigen Fachartikel From Walking Simulator to Ambience Action Game habe ich 2019 zusammen mit Dr. Felix Zimmermann geschrieben, und auch wenn ich sehr glücklich mit dem Text bin, hat mir diese aufreibende Erfahrung noch einmal gezeigt, dass sich wissenschaftliche Arbeit schlicht nicht dauerhaft abseits sicherer akademischer Strukturen ohne Selbstausbeutung von mir durchhalten lässt. Die Forschungswelt ist prekär genug, und mit meinem Sozialhilfekind-Background bin ich ohnehin schon eine große Anomalie dort, wo ich mittlerweile stehe, sodass ich mich mehr oder weniger damit abgefunden habe, an eine unsichtbare Wand gestoßen zu sein. Bei der Kulturwissenschaftlerin McKenzie Wark habe ich den tröstenden Begriff der „low theory“ gelernt. „Low theory“ verhält sich zu „high theory“ in etwa wie „low sci-fi“ zu „high sci-fi“. Das heißt, beide Ansätze sind berechtigt. Ich habe aber nicht mehr den Anspruch, den Warp-Antrieb bis ins kleinste Detail zu belegen, mit Diagrammen und Quellen aus der theoretischen Physik, sondern mache mir lieber quick-and-dirty Gedanken darüber, was er für eine zukünftige Gesellschaft bedeuten könnte. Mit diesem pragmatischen, eher kulturjournalistischen Ansatz bleibe ich der Scientific Community also erhalten, auch wenn ich dann wohl eher selten zitiert werde. Damit ich jedoch meine abgebrochene Promotion noch einmal freiwillig fortsetze, müsste mir als göttliche Intervention schon eine ideale Promotionsstelle direkt vor die Füße fallen!
RTI: Apropos Digitalspielforschung – wie steht es um die alte Dame in Deutschland eigentlich aus Deiner Perspektive?
CH: Da ich nicht mehr sehr aktiv an der Digitalspielforschung teilnehme, kann ich gar nicht so viel dazu sagen. Mein Eindruck ist, dass die Game Studies in Deutschland auf solidem Niveau stagnieren. Zwar sind sie als eigenständige Disziplin bis auf wenige Ausnahmen nirgendwo fest institutionalisiert, tauchen dafür aber mehr oder weniger selbstverständlich in allen benachbarten Disziplinen auf. Ich bekomme immer wieder Rechercheanfragen von Studierenden aus den verschiedensten Forschungsbereichen, die etwas mit Games machen wollen und dabei scheinbar auf keinen Widerstand oder sogar auf Unterstützung durch ihre Professor*innen stoßen. Das habe ich aus meinem Studium noch ganz anders in Erinnerung: „Machen Sie sich nicht lächerlich, Games sind keine erzählenden Medien!“ Und vielleicht ist dieser Zustand ja auch schon gut genug. So wie sich der Korpsgeist »der Gamer« in Zeiten zunehmender Akzeptanz durch die Gesellschaft überlebt hat, braucht es möglicherweise auch die Game Studies nicht mehr zwingend als abgeschlossene, eigenständige Community.
RTI: Vielen Dank und alles Gute für die Zukunft!
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