Was erwartet man von einem Buch, das den unscheinbaren Titel ›Ein ganz normaler Tag«‹ trägt? Sicher kein Feuerwerk an überraschenden Geschichten, unterschiedlichster Perspektiven, mannigfacher Illustrationen und verblüffender Überraschungen. Aber genau das, findet ANDREA WANNER, bietet der Band.
Da erzählt ein Reisepass von seinen Erlebnissen, seinem Dasein im Schatten der Aufenthaltserlaubnis, der die ganze Aufmerksamkeit geschenkt wird, eine kleine Frage sinniert über ihre Daseinsberechtigung und Felix gesteht seiner besten Freundin, dass er in seinen Träumen Felicia, ein Popstar, ist. Ein altes Märchen über die Entstehung der Tierkreiszeichen entführt nach Vietnam und im Hafen von Abadan im Iran erzählt ein alter Mann eine Geschichte von einer goldenen Kakerlake.
Aber auch Menschen aus anderen Ländern, die in Deutschland angekommen sind, berichten von ihren – nicht immer schönen – Erlebnissen. Da wird ein türkischer Junge von seinen Mitschüler:innen in der neuen Schule ausgelacht und gemobbt, weil sein Vesperbrot so ganz anders ist als ihres. Oder ein anderer, weil er auch mal ein Kleid statt Jeans trägt. Es gibt mutmachende Geschichten wie die von der Überfliegerin Keisha, die es in eine Schule geschafft hat, wo fast nur weiße Kinder sind. Der Besuch im Planetarium wird zu ihrem Lebenstraum: Sie will Astronautin werden und sie setzt alles daran, ihn wahr werden zu lassen. Und es gibt traurige wie die einer geflüchteten Familie, die in einer bayerischen Kleinstadt gelandet ist und wo die Eltern sich voller Trauer an die verlorene Heimat erinnern und bedauern, ihren Kindern nicht dort eine sorgenlose Kindheit bescheren zu können.
12 ganz unterschiedliche Geschichten von 12 Autor:innen, von 12 unterschiedlichen Illustrator:innen jeweils einfühlsam, stilistisch ganz unterschiedlich illustriert. Mal kommen die Bilder wie Comicsequenzen daher, mal niedlich, mal spielen sie mit ornamentalen Formen und beschwören fremde Länder und Kulturen herauf, jenseits der Sehgewohnheiten.
Weitblick statt Engstirnigkeit. Dazu ermuntern die an diesem Buch Beteiligten, die aus ganz verschiedenen Bereichen kommen. Sie alle werden mit ihrer Geschichte mit Porträtbildern und kurzen Texten vorgestellt. Ihnen allen ist wichtig, über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken, ihre eigenen Horizonte zu erweitern und die ihrer Leserinnen und Leser.
Diversität bezieht sich auf die Vielzahl von Unterschieden, die Individuen auszeichnen, einschließlich – aber nicht beschränkt auf – ethnische Herkunft, Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, Fähigkeiten und kulturelle Hintergründe. Das können Kleinigkeiten sein oder Dinge, die einen Menschen prägen. Diese Vielfalt bereichert unsere Gesellschaft, indem sie ganz unterschiedliche Perspektiven, Erfahrungen und Ideen einbringt. Das schaffen diese Geschichten wunderbar: kleine Irritationen dadurch, dass der »ganz normale Tag« irgendwie ganz anders ist als erwartet.
Ein respektvoller Umgang mit Diversität fördert das Verständnis füreinander und damit kann man nicht früh genug beginnen. Weg von einem »normal«, das es nicht gibt. Eine bessere und gerechtere Welt setzt darauf, dass jede und jeder einzigartig ist und von allen anderen respektiert wird. Jenseits des Gewohnten fangen wir an, darüber nachzudenken.
Titelangaben
Josephine Apraku (Hrsg.): Ein ganz normaler Tag
Geschichten voller Abenteuer, mächtiger Gefühle und mit einer Menge Mut
Hamburg: Carlsen 2024
128 Seiten, 18 Euro
Kinderbuch ab 6 Jahren
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