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Gift

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Gift

Was das denn für ein Auftritt gewesen sei, fragte Farb, und wer den Breuer überhaupt eingeladen habe, sollen wir daraus klug werden und müssen wir uns abgrenzen.

Unmöglich, sagte Wette.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Tilman reichte ihm einen Löffel Schlagsahne.

Annika warf einen Blick auf das Gohliser Schlößchen.

Farb strich die Sahne auf seinem Kuchen langsam und sorgfältig glatt.

Wette schwieg.

Wie könne jemand so halsstarrig sein, fragte Farb, das bringe einen noch um den Verstand.

Er aß ein Stück von seinem Pflaumenkuchen.

Man sehe zu, wie dieser Planet nach und nach aufdrehe, sagte er, so äußere sich dessen Wut, sagte er, die weithin lodernden Flammen, das mächtig grollende Beben, die ertränkenden Fluten, was müsse denn noch geschehen, um jemanden wie Breuer zur Einsicht zu bringen, wer habe ihn überhaupt eingeladen, es gäbe nämlich, wie er sage, keinen Klimawandel, nein, so nicht, aber anders werde ein Schuh daraus, sage er und gäbe vor, einzulenken, denn das Klima wandle sich stetig, wandle sich über die Jahrtausende.

Sensationell, spottete Wette.

Leute wie Breuer, wer habe ihn überhaupt eingeladen, weigerten sich zu verstehen, wovon die Rede sei, sagte Farb, dabei sei die Veränderung so augenfällig, wie sei das möglich, alle paar Wochen heiße es, daß irgendwo hunderttausend Menschen evakuiert werden müßten, weitreichende Stromausfälle müßten behoben werden, wie könne einer so leichthin über derartige Nachrichten hinwegsehen, der Planet sei heruntergewirtschaftet, Fortschritt und Wachstum hätten ihm den Rest gegeben, der vielgepriesene Homo sapiens habe keinen Plan, null, habe er überhaupt je einen gehabt, er lasse sich von seiner Habgier treiben, aber einen Plan, nein, und nun stolziere jemand wie dieser Breuer daher, in demonstrativer Ahnungslosigkeit, da stellen wir uns mal ganz dumm, sage er und erkundige sich mit freundlicher Herablassung, was denn die Aufgeregtheit zu bedeuten habe.

Tilman rückte dichter an den Couchtisch und suchte eine weniger schmerzhafte Sitzhaltung einzunehmen.

Farb schenkte Tee nach, Yin Zhen.

Wette griff zu einem Marmorkeks.

Leute wie Breuer leugneten den Klimawandel, sagte Annika, wie solle man mit ihnen umgehen, fragte sie, und ob man ihn noch einmal einlade.

Sie würden sich gegen Maßnahmen wehren, die den Wandel abbremsen, sagte Wette, die USA, seit neuestem unter ihrem siebenundvierzigsten Präsidenten, hätten die Pariser Vereinbarungen erneut aufgekündigt.

Sie würden aus einem hochexplosiven Gemenge von Trotz und Eitelkeit handeln, Dünnbrettbohrer, aber das mit Leidenschaft, und bis sie Vernunft annähmen, sagte Farb, könne es dauern.

Dann werde es zu spät sein, sagte Wette, keine Chance, es müsse erst richtig wehtun, der Mensch müsse schreien vor Schmerz, bevor er sich bewege, und dann sei es eben zu spät.

Ob der Mensch wirklich so sei, fragte Annika, so uneinsichtig, so störrisch, und ertrage keinen Widerspruch.

Man müsse ihm nach dem Mund reden, spottete Wette, dann werde er handzahm, werde genießbar, müsse ihm Honig ums Maul schmieren.

Jedenfalls gelte das für den amtierenden Präsidenten der USA, sagte Farb, der entscheide nach Sympathie und aus dem Bauch heraus, so etwas könne auf Dauer nicht gutgehen, der Zustand der Zivilisation widerspiegele den des Planeten: ausgebeutet, geplündert, heruntergewirtschaftet, nein, mehr noch: von Gift getränkt.

Er tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Tilman reichte ihm einen Löffel Schlagsahne.

Wette wunderte sich darüber, daß es Marmorkekse gab, sein Lieblingsgebäck, und vielleicht seien über kurz oder lang sogar wieder Vanillekipferl zu kaufen, was zwar eher unwahrscheinlich wäre, der Preis für Vanille war unverändert hoch, doch es würde ihn freuen.

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Tilman rückte mit dem Sessel näher zum Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

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Farb nickte, tat sich eine Pflaumenschnitte auf, nahm einen Löffel Schlagsahne dazu und strich sie langsam und sorgfältig glatt.

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