Herr Specht bekommt ärztlich Kopf- und Flugverbot verordnet, um seine angegriffene Gesundheit – er leidet unter Kopfschmerz und Schwindel – nicht weiter zu gefährden. Aber was bleibt einem Specht, wenn weder hämmern noch durch die Luft segeln darf? Herr Specht steckt in einer Sinnkrise. Von ANDREA WANNER
Wir begleiten den leidenden Specht aus der Arztpraxis hinaus ins Freie. Dort trifft er seinen Freund, den neugierigen Maulwurf und die beiden kommen ins Gespräch. Das ist gleichermaßen sinnbefreit wie philosophisch. Der eine hat nur sein Hämmern im Kopf, der andere schlägt Buddeln als die perfekte Alternative vor.
So beschäftigt eben jeden das, was er kennt. Der Maulwurf versucht hilfreiche Vorschläge zu machen. Pilot ist so eine Idee, schließlich würden die auch fliegen. »Aber die klopfen nicht«, damit ist für den Specht die Sache vom Tisch. Und die Anregung, Löcher in die Scheibe des Cockpits zu klopfen, findet schon gar keine Antwort mehr. Geheimagent vielleicht. Schließlich stecken die auf der Suche nach Geheimnissen ihre Nase in viele Löcher.
Löcher sind das bestimmende Thema dieses Spaziergangs, der durch ganz unterschiedliche Gegenden führt, vorbei an Bauzäunen, Gewässern, Wäldchen, einem Schwimmbad. Und überall gibt es Löcher, große und kleine, durch die man gerne spicken würde und schauen, was dahinter passiert.
Löcher werden zu Obsession. Oder sind es längst. Am Boden liegende Rohre erkennt der Specht als »lange Löcher mit Schale«. Löcher, die Abwesenheit von Substanz, sind das Einzige, was den Vogel glücklich macht. Und nachdem er lange genug darüber nachgedacht hat, wird ihm klar, dass der Arzt schlicht keine Ahnung hat. Ob das eine kluge Erkenntnis ist?
Der norwegische Bilderbuchautor und -illustrator Ragnar Aalbu erzählt von diesem tiefsinnigen Gespräch zwischen den Freunden in einem Dialog, der in stilisierte Illustrationen mit vielen geometrischen Figuren eingebettet ist. Die Akteure bewegen sich eher am Rande der Szenen, die viel Raum lassen für Einblicke in Tunnel, Höhlen, Vögel und Flugzeuge am Himmel und Bauaktivitäten, alles Variationen des Gesprächsthemas. So viel Unerzähltes lädt ein, darüber nachzudenken und eigene Geschichten zu erfinden. Die Farben – Blau-, Grau- und Brauntöne, winzige Akzente in Rot – sind zurückhaltend und steuern doch immer wieder gezielt den Blick. Die Raffinesse der Konstruktionen erschließt sich nach und nach und amüsiert garantiert auch erwachsene Vorlesende. Für die hat Aalbu weiter Details versteckt, um die man sich aber gezielt bemühen muss. Die Übersetzung von Karin Frey ist jedenfalls ein echter Genuss, bei dem – so vermute ich mal – keine Pointe verloren geht.
Dieses Bilderbuch ist erfrischend anders, an vielen Stellen überraschend und voller Fragen steckend. Was macht man, wenn man etwas so liebt und glaubt, es tun zu müssen, aber feststellt, dass es einem nicht guttut? Herr Specht findet irgendwann die Lösung – und die liegt bei genauer Betrachtung eigentlich auf der Hand.
Titelangaben
Ragnar Aalbu: Herrn Specht geht’s schlecht
(Hakk o we, 2018). Aus dem Norwegischen von Katrin Frey
Berlin: Kraus Verlag 2025
40 Seiten, 18 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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