Drei Gedichte

Lyrik | Peter Engel: Drei Gedichte

Die andere Seite

Immer fällt was aus den Büchern
heraus, eingelegte Ausschnitte
oder ganze Satzteile,
die am Rand rot markiert sind,
beim Schütteln eine Philosophie.

Ein gut gearbeitetes Buch
öffnet sich in der ersten Zeile
und zieht dich mit den folgenden
völlig in sich hinein,
läßt dich bis zum Schluß nicht entkommen.

Links und rechts fallen die Stunden
in sich zusammen und werden
zu einer anderen Welt,
Meilen unter oder über
dem Buch, jedenfalls jenseits davon.

Am Ende kommst du schwer wieder
an Land, die Wellen der Sätze
geben dich nur widerwillig frei,
haben dich weit abgetrieben
von deinem gewöhnlichen Leben.

 
 

Das Blaue vom Himmel

Was dahinter steckt, verbirgt sich
auch heute, das große Versprechen
ist wie gewöhnlich durch Wolken
verdeckt und entzieht sich den Blicken,
die sehnsuchtsvoll danach verlangen.

Das reine Blau, diese Verheißung,
an der die Legenden weben,
dieses ganz unvermischte Glück
für die suchenden Augen,
immerhin eine Möglichkeit.

Und es tritt ja auch manchmal hervor,
Spuren davon als Lückenfüller
und dann glänzt es wie Hoffnung auf,
aber die ängstliche Wirklichkeit,
ist stärker, zieht den Wolkenvorhang zu.

 
 

Loblied auf meine Rechte

Immer war sie mir zur Hand,
diese ganz gewöhnliche Rechte,
dort ordentlich angewachsen,
wo sie stammesgeschichtlich
hingehört und mir seit der Geburt
dienlich, hingebungsvoll, wie ich jetzt
mehr und mehr merke, da ich sie
noch viel stärker brauche denn je.

Seit die Linke eingegipst ist,
hat die andere alleiniges
Vollzugsrecht, ist, tierisch gesprochen,
der unumschränkte Platzhirsch,
wird rangenommen für zwei,
kommt überhaupt nicht mehr zum Ausruhn,
sondern ist im Dauereinsatz
und gefragt bei jeder Gelegenheit.

Eine klare Überforderung,
doch sie schultert gewissermaßen
sogar die Linke und nimmt ihr
die Brotarbeiten souverän ab,
greift fester zu denn je, läßt nichts
fallen und ist zuverlässig
wie seit Kindertagen, ein Garant
für die Abwicklung des Alltags,

Jetzt endlich preise ich meine
Rechte, ohne jedes Loblied
hat sie bisher täglich gerackert
und mir allen Unrat aus dem Weg
geschafft, eine Dienstleisterin
ohne Prämien und Pensionsanspruch,
zweifellos eine unerkannte
Heldin der Arbeit, denkmalwürdig.

| PETER ENGEL

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Flüchtige Momente des Alltags

Nächster Artikel

Maskerade

Weitere Artikel der Kategorie »Lyrik«

Drei Gedichte

Lyrik | Peter Engel: Drei Gedichte

Stimmungsstudie

Aufgeplustert vom Morgenwind
der vertäute Sonnenschirm,
als vergessene Erinnerung
steht er auf der Terrasse
und ruft mit seinem verschossenen
Blau den Sommer wieder herauf.

Nimm und lies

Lyrik | Martina Weber: Erinnerungen an einen Rohstoff Martina Weber, Jahrgang ’66, Lyrikerin, Juristin. Heinrich-Vetter-Preis, Georg-K.-Glaser-Förderpreis, Frankfurter Autorenstipendium. Zahlreiche Veröffentlichungen von Lyrik in renommierten Zeitschriften und Anthologien. Verfasserin eines Standardwerks zum Schreiben und Vermarkten von Lyrik. Erinnerung an einen Rohstoff ist ihr erster Gedichtband (Poetenladen, Leipzig, 2013). Von CHRISTOPH SCHWARZ

Schlüsselverse

Lyrik | Peter Engel: Schlüsselverse

Um gut in den Tag zu kommen,
schließe ich ihn auf mit diesem Vers,
öffne seine Möglichkeiten
und schreibe sie auf mein Blatt,
lenke den Gedankenstrudel
in die bereite Zeile.

Drei Gedichte

Lyrik | Peter Engel: Drei Gedichte

In einem Zuge

Wenn dir der besondere Tag
den Stift führt und ihn gleiten läßt,
wie von anderer Hand geführt,
dann schreibt sich die Morgenstunde
selbst hin mit ihren Eigenarten,
ist heiter wie der Vormittag.

Axel Görlach: Zwei Gedichte

Lyrik | Axel Görlach: Zwei Gedichte gegen das streunen konfektionierter sinntumore gegen das atemkalksein brauchen wir entzündung versfäden gordisch gewirkt zur brücke ins weltall die stadt geschlagen in sternenfilz noch wäscht uns der fluss die sevofluranprogramme aus dem blut