Der Tod ist für Kinder eine einschneidende Erfahrung. Es ist schon schlimm, wenn ein Haustier stirbt, aber wenn ein geliebter Mensch plötzlich nicht mehr da ist, kann das zu Krisen führen. Vor allem auch die Erfahrung, dass man nicht der Einzige ist, der trauert, sondern dass sich auch sonst alles verändert, weil auch die anderen in der Familie mit dem Verlust klarkommen müssen. Eine schwierige Aufgabe, findet ANDREA WANNER, die Samy vor sich hat.
Samys Opa ist gestorben. Er hatte Krebs, war aber so voller Zuversicht und Lebensfreude, dass sich niemand vorstellen konnte, dass er das tatsächlich nicht schafft und die Krankheit besiegt. Das war nämlich sein Plan. So wie in seinem Leben das Glas immer halb voll und nie halb leer war. Jetzt ist er fort – und jede und jeder in der Familie reagiert auf seine und ihre Art und Weise.
Samys Vater ist nur noch übertrieben und gekünstelt fröhlich, die Mutter stürzt sich in Arbeit, die Zwillinge kapieren das Ganze nicht richtig und Oma, auf die man sich immer verlassen konnte, ist wie versteinert. Samy hält es kaum aus. Er will und kann so nicht weiterleben. Zum Glück taucht da plötzlich in einer Sofaritze ein Zettel auf: Opas letzter Wille. Er möchte eine Reise ans Meer. Davon hatten Oma und er immer geträumt und es dann doch nie in die Tat umgesetzt. Also muss es jetzt sein. Statt mit Opa mit seiner Asche in der Knäckebrotdose. Mit einem geliehenen und nicht mehr ganz taufrischen Fahrzeug, in das sie alle sechs reinpassen. Und mit vielen Vorbehalten und Zweifeln, ob das denn überhaupt Sinn macht. Man wird sehen.
Die Fahrt stellt die Welt auf den Kopf, wirbelt Gewissheiten durcheinander, wirft Fragen auf, auch unangenehme. Fast sieht es so aus, als ob sie nie ankommen würden. Fast. Denn immer wieder begegnen sie anderen Menschen mit anderen Lebensentwürfen und Plänen, die auch Bewegung in ihre eigene Reise bringen.
Judith Allert lässt Samy erzählen. Der ist megagenervt von seiner Familie, von den in seinen Augen falschen Reaktionen, von den Fragen seiner jüngeren Geschwister wie beispielsweise »Saaaaamy, was sind sterbliche Überreste?« Das Familienleben, wie es vorher war, wird es nie mehr geben. Aber der Junge spürt, dass die Dinge ihren Platz finden müssen, die Trauer wie das Lachen und Weiterleben. Samy ist garantiert kein Held, hat eher Schiss vor vielen Dingen wie vor Hunden, Gewittern, vor der Höhe … Er stellt eine ganze Liste von Dingen zusammen, vor denen er sich fürchtet, darunter auch die !Angst vor dem Leben ohne Opa. Also braucht es eine Lösung.
Seite um Seite wirkt die Geschichte glaubwürdiger, auch wenn versierte Leser*innen vielleicht ahnen, was da gerade wirklich passiert. Gerne lässt man sich auf den Roadtrip ein, der Unerwartetes zutage fördert. Aktionen wie den Ascheklau bei der Trauerfeier sind ein bisschen schräg geraten – aber irgendwie passt es dann doch, sobald man sich auf die Story einlässt. Opa – der unerreichte Held und seine Anekdoten – wird ein bisschen von dem Podest gehoben, auf das Samy ihn gestellt hatte. Aber tatsächlich wird es dadurch eher einfacher, mit der Trauer umzugehen. Alle müssen lernen, dass Abschiednehmen ein Prozess ist, dass man danach nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann und dass so eine Reise ins Ungewisse vielleicht gar nicht das Verkehrteste ist, um damit umzugehen.
Titelangaben
Judith Allert: Knäckebrothelden. Oder wie man seine Familie rettet.
Hamburg: Carlsen 2025
208 Seiten, 12 Euro
Kinderbuch ab 10 Jahren
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