Es ist Sommer und Ada und Bob unternehmen eine Kajaktour voller Abenteuer. Leider zoffen sie sich irgendwann und die Fahrt endet im Streit. Und jetzt? ANDREA WANNER war fasziniert von der genialen Idee dieses Bilderbuchs.
Es gibt tolle Geschichten, bei denen man die Bücher in beide Richtungen lesen kann und bei denen sich jeweils das Ende in der Buchmitte befindet. Der Klassiker aus dem Jahr 1983 von Annegret Fuchshuber über Freundschaft ›Mausemärchen – Riesengeschichte‹ gehört dazu. Oder das Wende-Bilderbuch ›Die Geschichte von Janosch aus West-Berlin / Die Geschichte von Anni aus Ost-Berlin‹ von Harriet Grundmann und Susanne Vogt aus dem Jahr 2009.
Oder die 2020 erschienene ukrainische Gutenachtgeschichte von Oksana Bule ›Nein, ich bin nicht müde! / Ja, ich will ins Bett!‹ In der Mitte findet sich das Gleichgewicht, passt alles.
Was hat das mit der miesen Stimmung zwischen Ada und Bob zu tun, die am Ende des Buches herrscht? Dabei war doch am Anfang alles gut. Und auch zwischendrin, als sie Kriegsgeheul angestimmt haben, sich wie Sioux oder Flusspiraten gefühlt haben, die geschickt den Krokodilen ausgewichen sind. Aber so blieb es nicht. Als sie wieder an Land kommen, ist das kleine Monster Bob mit den grünen Streifen restlos beleidigt und versteckt sich vor Ada.
Und dann ist es aus, das Buch. Kein gutes Ende. Eines, mit dem man gar nicht zufrieden ist. Es herrscht immer noch wunderbares Wetter, aber die Freundschaft ist angeknackst. Oder noch schlimmer: vielleicht gar nicht mehr vorhanden.
Und dann kommt dieser originelle Kunstgriff der französischen Autorin Clémence Sabbagh, die genau das Gleiche konstatiert:; »Bob und Ada haben sich zerstritten – so kannst du sie nicht zurücklassen!« Aber was tun? Es folgt eine verblüffende Aufforderung: »Lies die Geschichte noch mal – jetzt aber rückwärts!«
Tatsache: es funktioniert. Aus der miesen Stimmung wird allmählich eine bessere! Die schlechte Laune verfliegt und am Ende – also am Anfang des Buches – ist die Welt tatsächlich wie durch Zauberei wieder in Ordnung. Irgendwie kann man das gar nicht recht fassen und muss das Spiel gleich noch einmal wieder holen. Und wieder zurück. Und wieder von vorne …
Was mit dem Text klappt, gelingt tatsächlich auch mit den Bildern. Kaum vorstellbar, aber das, was sich Magali Bardos – wunderschön auch ihr Zählbilderbuch ›Bis 100‹ – an Illustrationen ausgedacht hat, genauso. Das Kajak sieht vorne und hinten genau gleich aus, die Richtung scheint ihm egal zu sein. Und so paddeln die beiden durchs Wasser, dem Chaos oder der Versöhnung entgegen, ganz wie man will.
Titelangaben
Clémence Sabbagh: Kajak
Eine Geschichte in zwei Richtungen
Aus dem Französischen von Tobias Scheffel
Illustriert von Magali Bardos
Frankfurt am Main: Moritz 2025
56 Seiten. 15 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren