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Spielanweisung für 3

Lyrik | Urs Böke, Stefan Heuer, Fabian Lenthe: Die Fische werden fliegen

Das 3er-Kollektiv Böke Heuer Lenthe haben nach Vielleicht ein paar Raben in diesem Sommer einen weiteren Band mit Lyrik und Collagen (von Jürgen O. Olbrich, Böke, Heuer) bei Moloko Print vorgelegt. Die Fische werden fressenversammelt 99 metaphernreiche und provokant-originelle Gedichte. Von HUBERT HOLZMANN

Und die »Fische« tummeln sich reichlich in diesem Band. Lesebegeisterte Literatur-Angler werden eine wahre Freude haben, ihre Angeln auszuwerfen, die Köder auszulegen;

»Die Maden und Würmer und all die Fliegen /
Die im Sekundentakt starten und landen /
Dann heißt es bon appétit //
Das Buffet ist eröffnet
«

(lenthe)

Die Leser können auf den ganz dicken Fang hoffen. Und mit dabei auch allerlei Beifang. Denn was das Autorenkollektiv mit ihrem Band hier vorlegt, ist ganz großes Kino, eine schillernde, variationsreiche Sammlung von Lyrik.

Mit ihrem »Außenborder« erkunden sie das Wasser, trotzen den Wogen und Wellen, sie cruisen frei assoziativ über das Meer der literarischen Motive, halten keinen festen Kurs auf ein einzelnes Thema, erkunden das ganze Meer in seiner Breite und Tiefe. Die scheinbare enge Titelvorlage wird dabei immer aufs Neue über Bord geworfen. Denn, es geht um alles und um nichts, um die großen und kleinen Fragen der Existenz, manchmal aus purer Lust am Fabulieren, aus Spaß an der Anarchie, aus Ungebundenheit. »Calippo Calippo!«

Die Fische werden fressen haben dennoch eine gemeinsame Angelrute, einen roten Faden, eine offensichtliche Kompositionsidee, die Queneau in seinen Stilübungen oder Perec in den 99 Kapiteln (!) von Das Leben Gebrauchsanweisung nicht besser aushecken hätten können; es folgen jeweils im Wechsel Texte der drei Autoren, insgesamt 99, also à 33 pro Autor. Zudem greift jedes neue Gedicht in seiner ersten Zeile den Schlussvers des vorangegangenen auf, so dass eine Art Endlostext, eine ständige Variation, eine erneuerte Schleife und ultimative Permutation entsteht.

Sehr bestimmt fokussiert bereits das Cover des Buches, eine farbige Collage von Jürgen O. Olbrich und Heuer (ein glänzender Fischkorpus ist angedeutet, ein Ausschnitt der Straßenkarte von Burgdorf, dem Wohnort eines der Dichter, blinkt auf, zahlreiche Requisiten deuten voraus auf die Metaphernvielfalt der Texte), die beiden Worte »Transition gesucht«, der lyrische Text als Passage, als Übergang und Wechsel. »Transition« das versteckte Programm für die Zusammenarbeit, »Transition« die Versuchsanordnung für kollektives writing. Und auch ein möglicher Schlüssel fürs Lesen.

Wohl auch eine Vorsichtsmaßnahme für zu wagemutige Interpretation von »literatur-groupies / die nach der lesung mit dir über benn und kling / diskutieren wollen« (heuer). Diese Zurücknahme ist dann doch gleich im ersten Gedicht zu finden, »dass man die black box finden und auswerten würde, war uns doch immer klar.« Im Anschluss daran von Fabian Lenthe folgerichtig der Hinweis auf den möglichen Untergang oder den Absturz. Das Experiment könnte auch scheitern. Dieses Aufgreifen von Motiven, Gedanken, Themen erzeugt eine starke Sogwirkung, den Zwang zum Weiterführen, meist nie linear, oft überraschend, aber immer tiefer eindringend ins Labyrinth der Gedanken.

Dabei gibt es auch einige Konstanten in diesem lyrischen Gemeinschaftsprodukt: Stefan Heuer pflegt die feste Form von 4 Strophen à drei Zeilen pro Text. Fabian Lenthe arbeitet freier, oft auch sehr pointiert und präzise sezierend, Urs Böke hingegen bewegt sich sehr frei in der Form und mäandriert weitaus mehr in seinen Gedanken. Allen drei gemeinsam ist aber der freie Zeilenübergang, das Enjambement, und der urgründige musikalische Impetus, ein temporeicher Rhythmus und Beat, eine große Klanglichkeit und Vokalsinnigkeit:

»calippo! calippo! brüllst du, und man kann dich /
gut hören, jetzt, wo der außenborder verstummt /
ist.
Mit jeder silbe die gesichter der menschen, //
die du über bord gestoßen hast. Mit jeder silbe /
schwemmen wir die edelmetalle aus dem flöz /
zählen die ringe…
«

(heuer)

Die Antwort, das Echo auf diesen Text folgt gleich im nächsten:

»Außerhalb deines Alltags /
Stirbst du in Nischen die andere schaffen /
Zwischen dir ein Abstand der dich zwingt /
Hier willst du nicht sein /
Ein letztes Gebet: /
APOCALIPPO! APOCALIPPO! //
Dann ist es vorbei
«

(lenthe)

Auch hier wieder die Assonanz auf das Ende, den Absturz, den Untergang. »The end« von den Doors sind ebenso verwoben in diesen Beats, wie bekannte expressionistische Großdichter, »Dr. Benn legt sein Besteck zur Seite / und liest stattdessen Seite 13 aus Morgue«. Aber die Leichenschau bitte ironisch gebrochen! Und nur als Anspielung, kurze Einblendung, als Spiel des Moments. »Collage« eben – aus Songtexten (Topotronic erklingen, DAF oder HeavyMetal) und Zitate von Filmtiteln oder Büchern (Bruce Lee, Harry Potter, bekannten Italowestern).

Die Bildcollagen im Band ähneln in ihrer Struktur dabei den Gedichten der drei Autoren, es ist eine Mischung aus Musikzitaten (der Umschlag einer bekannten alten Akkordeonschule), aus lokaler und historischer Vorortung und natürlich Abbildungen von Fischen (vielmehr schuppigen Hautfetzen). Urs Böke collagiert in schwarz-weiß, das Duo Olbrich und Heuer in Farbe. Alles ein wenig in Retro gestaltet, mit einem Blick in den Abgrund, mit einer Spur Gesellschaftskritik, das bürgerliche Fressen und Gefressenwerden. Wo bleibt da die Moral?

Und immer besinnen sich die Autoren auf eine extrem lyrische und bilderreiche Sprache. Poetisch im besten Sinne des Wortes:

»von den schwalben nehmen wir nur /
das weiß
«

(heuer).

Und auch motivisch ergründen die Texte die Grundfesten der lyrischen Kanons mit dem mythischen Sänger Orpheus und dessen Liebe zu Eurydike. Die Reise der Fische führt auch zu Liebe und Tod. Und immer wieder neu verwandelt, wiederholt, verdichtet, kombiniert. Das Dreierteam ist wie im Profisport extrem aufeinander eingespielt, arbeitet passgenau, reaktionsschnell, trickreich und mit hoher Trefferquote. Und vor allem sehr unterhaltsam.

Und verliert dabei nicht die gesellschaftliche Relevanz aus dem Blick. In den Bildcollagen beeindrucken die Verweise auf den Vietnamkrieg, in den Texte aufgegriffen im Bezug auf die Geschichte Kambodschas. Oder das Unterlaufen der unsäglichen Leitkulturdebatte in einer Demontage und Parodie des Heimatbegriffs, etwa die utopische Umdeutung im folgenden Text von Urs Böke:

»Dann ist es vorbei dann ist es egal /
die Fische werden fressen die Fische werden laichen /
… eine Frau verbrennt sich und wird Leiche /
ihr Vermächtnis: Mein Name ist Ausländer /
im deutschen Gedächtnis: Nichts! //
Einige wenige die sich erinnern /
ein Chor aus empathischen Stimmen: //
Lass uns alles ändern /
bis Heimat nicht mehr fremd macht
«.

Die drei Dichter stacheln sich an in ihren Texten zur Höchstform. Sie geraten in einen Zustand des Rauschs, in Ekstase. Ist dies dann das Ende des Experiments? Nein!

»›The show must go on‹ /
Wenn du tot bist stirbt ein anderer /
Einer für dich einer für mich /
Wie üblich ›Für eine Handvoll Dollar‹
«

(lenthe).

Dieser »High Noon«-Augenblick ist aber lange nicht das Ende. Denn es geht eben um alles, und um nichts.

Die drei Autoren sind vogelfrei, stehen für keine akademische Schule, imaginieren nicht romantische Pseudowelten und produzieren für den angesagten Literaturmarkt. Sie provozieren, zerstören, desillusionieren, wie ein Villon, kurz vor der Hinrichtung. Es geht eben doch um alles:

»Smoke on the water mit nassen /
Füßen auf dem elektrischen Stuhl /
was sind 175 Jahre Knast /
gegen die Wahrheit
«

(böke).

Wohin also führt dieses kollektive Experiment? Fabian Lenthe könnte einen weiteren Schlüssel zur »black box« in einem seiner Texte versteckt haben:

»Und das mein Freund
Ist noch lange nicht das Ende
Denn obwohl unsere Namen
Nicht im Abspann stehen
Hoffen wir noch immer
Auf einen Cameo
In der Post-Credit-Szene
Auf einen Sturz
Durch das Fenster der Bel étage
Auf den Einsatz von Water-Gel
Auf High-Noon
Und Mexican-Standoff
Oder zumindest
Scharfe Kugeln im Magazin
«

lenthe

| HUBERT HOLZMANN

Titelangaben
Urs Böke, Stefan Heuer, Fabian Lenthe: Die Fische werden fressen
Schönebeck: Moloko Print 2025
118 Seiten. 15 Euro
| Erwerben Sie diesen Band direkt bei Moloko+

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