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Über Games berichten

Rund um Games ist ein komplexes Ökosystem von Erzähler:innen, Journalist:innen, Blogger:innen, Podcaster:innen, Streamer:innen und Gamefluencer entstanden – und auch Wissenschaftler:innen. RUDOLF THOMAS INDERST im Gespräch mit Benjamin Bigl über die vielfältige Landschaft und Herausforderungen der Spieleforschung.

RTI: Guten Tag Benjamin Bigl, großartig, dass Sie die Zeit gefunden haben für einen Austausch. Bitte stellen Sie sich unseren Leser:innen vor und beschreiben Sie einen typischen Arbeitstag.
Der Autor sitzt auf einer Holzbank und trägt einen dunkelroten Anzug. Seine Hände liegen verschränkt auf seinem Schoß.BB: Gerade sitze ich – wie so oft – im Zug zwischen Dortmund und Leipzig, dem inoffiziellen Habitat des akademischen Prekariats. Unterhalb der Professur hangeln sich in Deutschland immer noch über 80 Prozent der Forschenden von Vertrag zu Vertrag. Statt in Exzellenz zu investieren, hängen wir in Mittelerde fest. Die Vorstellung, dass Forschung und Lehre durch hohe Fluktuation innovativ bleiben, entbehrt dabei natürlich jeder fachlichen Logik. Für Außenstehende wirkt das bestimmt wie ein absurd langes Jump’n’Run-Level, aber gut: Jammern hilft nicht weiter.

Ich bin Kommunikations- und Medienwissenschaftler, habe in Leipzig Journalistik, Kommunikationswissenschaft und ein bisschen Geschichte studiert und dort 2014 promoviert. Danach ging es quer durch die Republik: Koordination eines internationalen Masterprogramms in Kooperation mit der Ohio University, Medienkompetenzforschung für den Freistaat Sachsen, DFG-Projektkoordination zur Barrierefreiheit in Münster, dazu Lehraufträge an gefühlt jedem Campus zwischen Hannover und Chemnitz. Ein irres Aufbauspiel mit dem Endgegner Wissenschaftszeitvertragsgesetz.

Wenn ich nicht gerade forsche, lehre oder Workshops für Lehrkräfte gebe (nächste Woche in Radebeul, kommt vorbei!), fluche ich über die Deutsche Bahn, teste Games (wann kommt endlich ›Half-Life 3‹?), fliege Drohne, paddle Kajak oder verbringe halb erfroren Nächte hinter meinem Teleskop auf der Dachterrasse. Das beruhigt wenigstens dahingehend, dass alles endlich ist, nicht nur das nächste Level – und wir alle eigentlich ziemlich unbedeutend obendrein. Und mit meinem Klangkunstkollektiv Eythra bastle ich Klangwelten zur Transformationsgeschichte des sächsischen Bergbaus. Puh – theoretisch bin ich sicher nicht, aber neugierig auf alles Digitale schon.

Wer Sie in der Suchmaschine der Wahl eingibt, wird vielleicht am schnellsten auf den Science Mashup in Leipzig stoßen. Was hat es mit dieser Veranstaltungsreihe auf sich?
Der Science MashUp ist gewissermaßen das kleine, wilde Geschwisterkind der Langen Nacht der Computerspiele (LNC) an der HTWK Leipzig – 2026 feiern wir 20 Jahre LNC und die sechste Ausgabe unseres MashUps. Die Idee dahinter: Wissenschaft kurz, knackig, unterhaltsam. Pecha-Kucha-Vorträge treffen auf klassische Kurzinputs, dazu ein Publikum, das Games liebt und zugleich neugierig auf Forschung ist. Seit 2020 erscheint jedes Jahr ein Tagungsband, ganz oldschool auf Papier und digital auf SpringerLink– zu Gender, Green Games, XR, Games & Schule oder zuletzt Games & Bücher. Das Besondere: Vor dem Science MashUp gab es in Deutschland kein Format, das Forschende, Entwickler:innen und Praktiker:innen so selbstverständlich zusammenbringt. Und die LNC als Mitmach-Event mitten in der schönsten Stadt der Welt liefert das perfekte Umfeld, um die Vielfalt von Games sichtbar zu machen. Wer Lust hat: Beiträge sind immer willkommen!

Stichwort Öffentlichkeit. Du hast jüngst untersucht, wie Games im Fernsehen thematisiert werden. Was hat es damit auf sich?
Ich beschäftige mich schon länger damit, wie Games im Fernsehen dargestellt werden. Bereits 2017 habe ich die öffentlich-rechtliche Berichterstattung analysiert – mit ernüchterndem Ergebnis: Games werden gern als Problemthema verhandelt, und das prägt die öffentliche Wahrnehmung bis heute, leider. Gemeinsam mit Kollegen habe ich das nun für zehn Jahre TV-Berichterstattung wiederholt und grafisch so aufbereitet, dass man im Prinzip selbst damit »spielen« kann. Möglich wird das durch ein weiteres Projekt von mir: Seit Jahren erfasse ich automatisiert das Nachrichtengeschehen im TV – ein seltsames Hobby aber auch ein empirischer Schatz, der sich mit modernen computational methods und LLM-Tools hervorragend erschließen lässt. Und Games sind da ein wunderbares Beispiel, wie groß die Lücke zwischen Realität und Darstellung manchmal ist.

Wohin soll hier die Reise gehen?
Trotz TikTok-Hype und Social-Media-Dauerfeuer prägt das lineare Fernsehen – und seine Mediatheken-Ableger – noch immer die öffentliche Meinung. Gerade in Krisenzeiten brauchen wir verlässliche, seriöse Informationen. Deshalb wird es immer wichtiger zu schauen, ob journalistische Angebote auch (oder immer noch!) ihren Aufgaben gerecht werden. Erst gestern haben wir im Masterseminar an der TU Dortmund analysiert, dass Markus Lanz in seiner eigenen Sendung über 50 Prozent Redeanteil hat, ist das nicht schräg? Solche Ergebnisse zeigen, dass nicht nur politische Akteure, sondern oft auch Journalist:innen selbst die Debattenlandschaften formen, über die später wieder berichtet wird. Perspektivisch wollen wir diese Analysen ausweiten und stärker tagesaktuell arbeiten – gewissermaßen als kleines Korrektiv für die mediale Realität.

Lassen Sie uns am Ende noch einmal ein wenig herauszoomen. Wie sehen Sie den aktuellen Stand der Spielforschung in Deutschland? Welche Themen sind vielleicht en vogue und welche Herausforderungen stehen für das Forschungsfeld im Vordergrund?
Die deutsche Spielforschung ist ein faszinierendes, aber auch ein ziemlich zersplittertes Feld. Kommunikationswissenschaft, Pädagogik, Design, Kunst – alle arbeiten an Games, aber selten miteinander. Der Ko-Op-Modus funktioniert hier leider nur marginal. Von außen wirkt das manchmal wie ein Open-World-Titel ohne Quest-Log: es gibt in jedem einzelnen Level viel Potenzial, aber die Navigation fällt schwer. Stark vertreten sind die Dauerthemen wie Sucht, Jugendschutz oder unerwünschte Effekte – und das passt fast schon ironisch zur aktuellen politischen Diskussion um TikTok- und Social-Media-Verbote, während die gleichen Stimmen aus der Politik mit Serious Games große Bildungssprünge erwarten. Die Forschung dazu ist allerdings eher ernüchternd. Dazu kommt der alte Traum, VR werde „jetzt aber wirklich« groß – ich bleibe da skeptisch, auch wenn Steam wieder eigene Hardware angekündigt hat. Viele Forschende konzentrieren sich außerdem auf einzelne Titel oder Serien. Mir fehlt da oft das Big Picture.

Deshalb finde ich aus journalistischer und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive besonders spannend, nicht nur auf Games selbst zu schauen, sondern auf diejenigen, die über Games berichten: Journalist:innen, Blogger:innen, Podcaster:innen, Streamer:innen. Mit Gamefluencern und Content Creators sind viele neue Akteure hinzugekommen – und für Spielende wird es zunehmend schwer, echte Perlen zwischen platzierter PR zu finden. Das beeinflusst wiederum, was produziert wird: große Player, große Plattformen, große Algorithmen, die noch mehr Geld und noch mehr Marktmacht produzieren. Ein Kreislauf, fast so komplex wie das neue ›Anno‹. Und ein riesiges Forschungsfeld, das noch lange nicht erschlossen ist.

Vielen Dank für das Gespräch und für die Zukunft alles Gute!

| RUDOLF THOMAS INDERST

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