Comic | Terry Moore (Text und Zeichnungen): Rachel Rising – Tochter des Todes
»Bei Morgengrauen erwacht Rachel im Wald. Mühsam schleppt sie sich nach Haus. Erst allmählich merkt sie an den Reaktionen ihrer Umwelt, dass mir ihr etwas nicht stimmt. Sie ist tot.« Mit dieser Prämisse beginnt ›Rachel Rising‹, die neue Serie des ›Strangers in Paradise‹-Schöpfers Terry Moore. BORIS KUNZ wollte sich nicht entgehen lassen, von Anfang an dabei zu sein.
Das im Englischen populäre Sprichwort »You can´t judge a book by its cover« sollte man in den meisten Fällen nicht wörtlich anwenden, denn gerade im Bereich der Comics vermittelt die Aufmachung des Covers meist einen recht guten Eindruck davon, was den Leser zwischen den Buchdeckeln erwartet. Der erste Band von ›Rachel Rising‹ ist eine Ausnahme – und zeigt irgendwie auch, was für eine Marke Terry Moore 20 Jahre nach dem Beginn seiner preisgekrönten Reihe ›Strangers in Paradise‹ geworden ist. Da mag das Cover aussehen, als wäre es mit Microsoft Word zusammengeschustert worden: Der Name des Comickünstlers allein genügt, um den Leser wissen zu lassen, dass ihn eine aufregende Erzählung in schönen Bildern erwartet. Und so ist es dann auch.
Der Zeichner, der die Frauen liebte
Es ist erstaunlich, wie Terry Moore auf der einen Seite mit dem Horrorgenre komplettes Neuland betreten und auf der anderen Seite seinem Stil dabei treu bleiben kann. Die streng in schwarz-weiß belassenen Zeichnungen sind so gut wie eh und je. Moores Stärke liegt nach wie vor in der liebevollen Zuwendung, die er vor allem seinen weiblichen Protagonisten angedeihen lässt, die er bis in die kleinsten Gesten (und Rundungen) hinein realistisch ausgestaltet. Terry Moore kann schöne Frauen zeichnen, ohne dabei ihre Physiognomie ins Absurde zu verzerren, er kann ihnen eine durchdringende Erotik verleihen, ohne sie zu Sexobjekten zu machen.Männerfiguren (die übrigens in eckigen statt in runden Sprechblasen sprechen) spielen in diesem Comic nur die zweite oder dritte Geige, so als hätte Moore es darauf angelegt, im Bechdel-Test Bestnoten zu erhalten.
Moore ist nach wie vor gut darin, Dialoge zu schreiben und menschliche Interaktionen lebensnah zu gestalten. Weniger Menschliches (Landschaften, Autos, Atmosphäre) sind seine Sache nicht so sehr, doch da ›Rachel Rising‹ mit seinen Horrorelementen auch von einigen Action-, Splatter- und Schockmomenten lebt, hat er sich hier ab und an ins Zeug gelegt und hat auch in diesem Department grafisch etwas zu bieten.
Auch als Erzähler schreckt Moore nach wie vor nicht davor zurück, es ordentlich krachen zu lassen. Schon in ›Strangers in Paradise‹ hatte er keine Scheu davor, seine eigentlich um ein komplexes Beziehungsdreieck kreisende Seifenoper immer wieder mit haarsträubenden Krimiplots aufzupeppen, gewagte Vor- und Rückblenden einzubauen, oder Songtexte, Prosaerzählungen oder Fotografien in den Comic einzubauen. Was Moore tut, das tut er richtig: Wenn gestritten wird, dann fließen die Tränen und der Regen in Strömen, seine Humoreinlagen werden zu Cartoons, und wenn die Thrillerhandlung einsetzt, stürzt schon mal ein Flugzeug ab. Dementsprechend geht er jetzt auch das Mystery- und Horrorgenre an: Die eigenartige Auferstehung von Rachel wird nicht das einzige metaphysische Ereignis bleiben, es wird viel gemordet und gestorben, und das auch möglichst drastisch.
Strangers in Paradise meets Dylan Dog
Zu zartbesaitet sollte man also nicht sein, wenn man sich dieser Story widmet, die auf den ersten Seiten minutiös schildert, wie die nach einem offensichtlich gewaltsamen Tod im Wald verscharrte Rachel sich mühevoll aus dem Erdreich freigräbt. Anschließend sucht sie ihre Tante Johnny auf, die passenderweise im Leichenhaus arbeitet und das Erscheinen ihrer offensichtlich lebendig-toten Nichte zunächst als Halluzination abtut. Also versucht Rachel sich bei ihrer besten Freundin Jet Hilfe zu holen, die als Automechanikern und Jazzgitarristin arbeitet. Während das Trio nach und nach einsieht, dass Rachel noch lebt, obwohl ihr Körper tot ist, bemerkt keiner von ihnen, dass es in ihrer Kleinstadt zu einer ganzen Reihe weiterer Morde kommt, bei denen es allesamt nicht mit rechten Dingen zugeht…Der erste Band ist kaum mehr als eine ausführliche Einführung in die Geschichte und eine erste Vorstellung der Figuren, die noch vieles unbeantwortet lässt. Der Todesengel wird als bedrohlicher Antagonist aufgebaut, der engste Freundeskreis der Hauptfigur eingeführt, und es gibt Hinweise darauf, dass noch eine Menge Rätsel und Geheimnisse auf Rachel lauern. Amouröse Verwicklungen bleiben bislang außen vor, und man wundert sich auch ein wenig darüber, warum es in Rachels Leben überhaupt keine wichtige männliche Bezugsperson zu geben scheint.
Moore verknüpft Elemente des Melodrams mit einem klassischen Mystery-Szenario – irgendwo zwischen ›Six Feet Under‹, ›Twin Peaks‹ und ›Morning Glories‹ – und macht auch nicht davor Halt, das Thema Metaphysik theoretisch abzuklopfen. Die Frage, ob der Tod und das Leben nun Seinszustände oder handelnde Entitäten sind, ist in der Serie allerdings weit mehr als nur das Tischthema der Protagonisten. Man merkt schnell, dass Moore sich hier wieder auf eine ausufernde Erzählung einlässt, für die der Leser (und auch der Verlag) vielleicht einen ebenso langen Atem brauchen wird, wie für ›Strangers in Paradise‹. Wenn Moore seinem bisherigen Niveau treu bleibt, kann sich das durchaus lohnen.
Titelangaben
Terry Moore (Text und Zeichnungen): Rachel Rising – Tochter des Todes
(Rachel Rising – The Shadow of Death)
Aus dem Englischen von Resel Rebiersch
Hamburg: Schreiber & Leser 2014
128 Seiten, 14,95 €
Reinschauen
| Rachel Rising – Leseprobe
| Strangers in Paradise bei Schreiber & Leser
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