BU-BA-BU: Wie Sprache und Literatur der Ukraine neu erfunden wurden

Gesellschaft | Bu-Ba-Bu – Literatur in der Ukraine

Was sich anhört wie ein Wort, das ein Kleinkind erfunden hat, steht als Abkürzung für Burlesk-Balahan-Buffonada, also Burleske-Farce-Posse: Am 17. April 1985 gründeten Wiktor Neborak (* 1961), Oleksandr Irwanez (* 1961) und Jurij Andruchowytsch (* 1960) im ukrainischen Lwiw die Autorengruppe Bu-Ba-Bu, die die ukrainische Literatur, Kultur und Sprache grundlegend verändern sollte. Von JUTTA LINDEKUGEL

Der ukrainische Schriftsteller, Dichter, Essayist Yuri Andrukhovych.  Foto: Heinrich-Böll-Stiftung
Der ukrainische Schriftsteller, Dichter, Essayist Yuri Andrukhovych.
Foto: Heinrich-Böll-Stiftung
Angeblich war Andruchowytsch, heute das prominenteste Mitglied der Gruppe, beim ersten Treffen nicht einmal anwesend, weil er krank war. Dennoch wurde Bu-Ba-Bu zu einer – wenn nicht der – erfolgreichsten, prägendsten Literaturerscheinungen der Ukraine seit den 1980er Jahren.

Zunächst agierte Bu-Ba-Bu im Untergrund. Die Gruppe gab spontane Lesungen bei Freunden oder in Kaffeehäusern. Ab 1987 machte sich Bu-Ba-Bu mit ersten öffentlichen Auftritten einen Namen. In dieser Periode, gekennzeichnet durch Glasnost und die Reaktorkatastrophe, diskutierten ukrainische Intellektuelle und Künstler das »geistige Tschernobyl«, also den schleichenden Zerfall der ukrainischen Literatur, Sprache und Kultur und die gesellschaftlich-kulturelle Stagnation der späten Sowjetzeit. Auch Bu-Ba-Bu strebte in Zeiten von Glasnost und Perestroika eine kulturelle und gesellschaftliche Erneuerung an: In Andruchowytschs lakonischem Porträt der Gruppe, ›Zwölf Thesen zu uns selbst‹, heißt es unter anderem, Bu-Ba-Bu sei liberal, demokratisch, undogmatisch, offen, aber auch karnevalesk, unsterblich, urban, religiös, synthetisch, philologisch, heterosexuell und national gesinnt.

Extrem populär wurde Bu-Ba-Bu in den frühen 1990er Jahren

Legendär ist ihre sogenannte poezoopera ›Krajsler Imperial‹ (Chrysler Imperial), eine Mischung aus Dichterlesung, Ballett, Theater, Oper und Rock, die im Oktober 1992 in Lwiw im Rahmen des Festivals ›Wywych‹ (Verrenkung) tagelang ausverkauft war. Gerade durch die Symbiose mit Rockmusik erreichten die Dichter ein großes Publikum. 1996 erschien eine gleichnamige Spezialausgabe der Zeitschrift ›Tschetwer‹ (Donnerstag), ein literarisch-künstlerischer Almanach. Auch dies ein Beispiel der innovativen Transgression von Gattungsgrenzen, der Verbindung von Kunst, Musik und Literatur. Gerade der von Bu-Ba-Bu etablierte Vortrag von Dichtung als Performance findet unter ukrainischen Lyrikern und Rockmusikern bis heute viele Nachahmer, darunter so bekannte Autoren wie Serhij Zhadan oder Irena Karpa.
Bu-Ba-Bu macht also Dichtung zur Performance, schuf gleichzeitig durch innovative Inhalte eine neue ukrainische Literatur und erweckte die ukrainische Sprache mit Neologismen, sprachlichen Experimenten und Tabubrüchen zum Leben.

Mit Humor wandte sich Bu-Ba-Bus antitotalitäre Haltung gleichzeitig gegen sowjetische und nationalistische Vorgaben. Während ihre Vorläufer, die Schriftsteller der 1960er Jahre, die „Schistydesjatnyky“, sich berufen fühlten, Nation und Kultur gegen die Sowjetkultur zu verteidigen, empfanden ihre Nachfolger in den 1980er Jahren den daraus resultierenden ukrainischen Nationalismus als einseitig und übertrieben. Sie fühlten sich von diesem Auftrag befreit, wie die Autorin Oksana Sabuschko einst formulierte: »The ›New Wave‹, the generation to which I belong, is actually the first one in six decades that has been freed from the obligation ›to save the nation‹« (»Die ›Neue Welle‹, die Generation, zu der ich gehöre, ist tatsächlich die erste seit sechs Jahrzehnten, die von der Verpflichtung, ›die Nation zu retten‹, befreit wurde.«

Aus dieser Ablehnung der bisherigen Identifikationsmuster resultierte auch die Frage nach einer neuen ukrainischen Identität. Durch die Öffnung und Modernisierung, die Loslösung von Traditionen und Stereotypen, von der nationalistischen wie auch der sowjetischen Vereinnahmung, schuf Bu-Ba-Bu Ansätze für eine postsowjetische, postmoderne ukrainische Identität.

Anfang der 1990er Jahre verschärfte sich die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, das Nebeneinander von älteren, in der Sowjetunion unveröffentlichten, und neuen Werken, zu einer Polarisierung: Die älteren Dichter, die bereits in den Sechziger und Siebziger Jahren debütiert hatten, verharrten in ihrer Oppositionshaltung gegen Russland, in ihrem aufklärerischen, programmatischen Patriotismus. Die neue Dichtergeneration jedoch strebte nach einer Liberalisierung und Pluralisierung.

Neue Inhalte, neuer Stil

Mit Ironie stürzte Bu-Ba-Bu nicht nur nationale wie sowjetische Ikonen, auch sexuelle Tabus brach die Gruppe durch offene erotische Schilderungen. Im verspielten, bohemehaften, neobarocken Stil der Gruppe spiegelt sich García Marquez‘ »magischer Realismus« wider. Mit dem Karnevalismus, einer »unernsten« Haltung, die nicht den üblichen Handlungszusammenhängen folgt, führte Bu-Ba-Bu eine postmoderne Ästhetik und ein posttotalitäres Kunstverständnis in die ukrainische Literatur ein: »Die Hinwendung zu (und nicht die Abwendung von) den Traditionen des volksaufklärerischen und sozrealistischen (testamentar-rustikalen) Diskurses, der spielerische Umgang mit ihnen sind ein deutliches Indiz für »posttotalitäres« Kunstverständnis, das den totalitären Diskurs als karnevaleskes Sprachspiel aufgreift, aber nicht direkt auf das totalitäre Regime zielt, weder affirmativ wie die totalitäre Literatur noch konfrontativ wie die antitotalitäre Literatur des Dissens, Undergrounds und der Diaspora«, erklärt Alexander Kratochvil in seinem Buch ›Aufbruch & Rückkehr‹. Andruchowytsch beispielsweise deutet den Kosaken, bisher folkloristische Verkörperung des ukrainischen Freiheitswillens und -kampfes, um. Sein ›Kosake Jamaica‹ genießt in einem durch Palmen, Fusel, Bahama-Mama und Freetown markierten karibischen Kontext einen entspannten Lebensstil. Irwanez wiederum führt ein patriotisches Gedicht von Wolodymyr Sosjura, das dazu aufruft, die Ukraine zu lieben, nicht minder pathetisch mit dem Appell, Oklahoma zu lieben, ad absurdum.

Auch die ukrainische Sprache, zu Zeiten der Sowjetukraine stigmatisiert und vielfach zurückgedrängt, die entsprechend in sowjetischen wie nationalistischen Formeln stagnierte, wurde von Bu-Ba-Bu unbefangen neu erfunden und mit Leben gefüllt. Dabei griffen die Lyriker auf Iwan Kotljarewskyj (1769-1838) zurück, dessen Burleske ›Enejida‹ (Bezug auf Vergils ›Aeneis‹) mit dem Übergang vom Kirchenslawischen zur Volks- und Umgangssprache den Beginn der modernen ukrainischen Literatur und Sprache darstellt. Wie Kotljarewskyj verwenden auch die Lyriker von Bu-Ba-Bu Umgangssprache, Slang und weitere von der Standardsprache abweichende Mittel im Sinne karnevalistischer Normbrüche und Hybridisierung der Textgestaltung zur Aktualisierung der Sprache, wie Kratochvil feststellt. Dazu sei Neboraks ›Fliegender Kopf‹ genannt, der in einem Sonett zahlreiche Paronomasien zur Verdichtung der Silben Bu und Ba nutzt und damit wiederum das Schlagen einer Trommel imitiert.
So veränderte Bu-Ba-Bu die ukrainische Literatur auf jeder Ebene.

Mit ihrer innovativen Herangehensweise zog die Gruppe Bu-Ba-Bu also ein junges, urbanes Publikum an und schuf eine Basis für eine postsowjetische, postmoderne Literatur und Sprache

Roksana Chartschuk nannte Bu-Ba-Bu in ihrem Artikel für die Zeitschrift LitAkzent vom 11. Januar 2008 ein Synonym für Freiheit. Seit den 1990ern beziehen sich alle ukrainischen Autoren, die der Generation Bu-Ba-Bu wie die der Folge-Generation, der Popliteratur und der Post90er-Generation, auch außerhalb von Galizien und Kiew, auf Bu-Ba-Bu. Sie sind der Maßstab der post-sowjetischen, genuin ukrainischen Literatur. »Die ›Zabužko-Andruchovyč-Generation‹, die in den ausgehenden 1980er Jahren der ukrainischen Literatur maßgebliche Impulse gab, und die nachfolgende Generation kennzeichnet ein ungewöhnlich produktives Verhältnis, deutlich in der Zusammenarbeit von Autoren beider Generationen«, bestätigt Kratochvil.

Viele ihrer Gedichte wurden von ukrainischen Pop- und Rockgruppen vertont. Somit entfaltete Bu-Ba-Bu eine enorm tiefe und breite Wirkung. Dabei wollten die oft als Postmodernisten bezeichneten Mitglieder von BU-BA-BU keineswegs zur »offiziellen« Literatur gehören, sondern bewusst als Alternative zum Establishment glaubwürdig bleiben.

Die Wirkung des gemeinsamen Schaffens hält an, auch wenn die drei Bu-Ba-Bisten in der weiteren Entwicklung unterschiedliche Wege einschlugen: Während Wiktor Neborak der Poesie treu blieb, wandte sich Irwanez dem Drama zu und Andruchowytsch avancierte mit Prosa und Essays zum Botschafter seiner Heimat im deutschsprachigen Raum.

In diesem Jahr wird nicht gefeiert

Die Erneuerung der ukrainischen Sprache und Literatur begann vor dreißig Jahren mit Bu-Ba-Bu. Sogar zur Findung einer neuen ukrainischen Identität machten ihre Innovationen Angebote. Die große Wirkung von Bu-Ba-Bu wird in der Ukraine aufgrund der aktuellen politischen Lage in diesem Jubiläumsjahr nicht gefeiert und gewürdigt. Andruchowytsch gibt sich jedoch zuversichtlich: Er hofft, dass sich die Umstände zum 50. Jahrestag gebessert haben, und ist sicher, dass dann gebührend gefeiert wird.

| JUTTA LINDEKUGEL

Titelfoto: Elke Wetzig

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Das Leben bleibt seltsam

Nächster Artikel

Ein Neuseeländer auf dem Mars

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Schöne neue IT-Kultur

Kulturbuch | Bernhard Pörksen: Die große Gereiztheit Algorithmen von Suchmaschinen sortieren meine Aktivitäten zu einem Persönlichkeitsprofil und lassen Werbespots auf mich los wie blutrünstige Kampfhunde. Ich blättere nach einem Gebrauchtwagen und werde von unerwünschten Anbietern belästigt. Ich suche eine Unterkunft in Mecklenburg, und diverse Anbieter stellen mir erneut wochenlang nach, mein Konsumverhalten wird überwacht. Von WOLF SENFF

Balltreten satt

Lite Ratur | Wolf Senff: Balltreten satt Leid tun einem die Reporter, oder heißen sie jetzt doch Moderatoren. Berichterstatter? Alle halbe Stunde sind sie gehalten, darauf hinzuweisen, dass die Zuschauer zusätzliches Hintergrundmaterial einsehen und sich sogar Spielszenen einspielen können, echt spitze, aus verschiedenen Blickwinkeln, werden Sie Ihr eigener Regisseur, was für ein Quatsch. Von WOLF SENFF

Revolutionäre des 20. Jahrhunderts

Kulturbuch | Felix Wemheuer: Linke und Gewalt Gewaltdiskussion? Hat das nicht so’n Bart? Die Welt steckt voller Gewalttätigkeit. »Der reißende Strom wird gewalttätig genannt / Aber das Flußbett, das ihn einengt / Nennt keiner gewalttätig.« (Bertolt Brecht). Ist damit alles gesagt? Nicht? »Nichts auf Erden ist so weich und schwach / Wie das Wasser. / Dennoch im Angriff auf das Feste und Starke / Wird es durch nichts besiegt.« (Lao-tse) Auch nicht? Hm. Von WOLF SENFF

Das Verhängnis einer Liebe

Menschen | Ingeborg Bachmann, Max Frisch: »Wir haben es nicht gut gemacht«

Von Juli 1958 bis zum Frühjahr des Jahres 1963 dauerte die Liebesbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch – zum Ende hin war sie vergiftet und zerbrach. Immer wieder ist über sie in der literarischen Öffentlichkeit gestritten worden mit Frisch in der Rolle des Böswichts und Bachmann in der des Opfers. Ein neues Editionswerk verlangt nach einer Korrektur der Sicht auf diese unheilvolle Beziehung der österreichischen preisgekrönten Lyrikerin und dem schweizerischen Erfolgsautor. Von DIETER KALTWASSER

Sie sind viele, sagt sie

Sachbuch | Millay Hyatt: Ungestillte Sehnsucht

»Wir sind viele« – so beginnt das Sachbuch ›Ungestillte Sehnsucht‹ von Millay Hyatt, das den Kinderwunsch ungewollt kinderloser Paare betrachtet. Es ist eine tendenziell politische Aussage, weil sich darin die Forderung nach mehr Aufmerksamkeit widerspiegelt. Dieses Schicksal sei nicht nur hart, es treffe auch mehr als man denkt. Von BASTIAN BUCHTALECK