Heldinnenmut

Kinderbuch | Frida Nilsson: Siri und die Eismeerpiraten

Manchmal hilft es nicht, zu wissen, dass das, was man vorhat, aussichtslos ist. Manchmal bleibt einem keine andere Wahl. Von ANDREA WANNER

Siri und die EismeerpiratenSiri ist eigentlich ein ganz normales Mädchen, das mit ihren 10 Jahren ein bisschen mehr Verantwortung tragen muss als andere Kinder in diesem Alter. Ihr Vater ist alt und schwach, ihre Mutter bei der Geburt ihrer drei Jahre jüngeren Schwester Miki gestorben.

Siri ist diejenige, die sich um alles kümmert, Fische fängt, Beeren sammelt, Gute-Nacht-Geschichten erzählt: Von ihrer Mutter oder dem schrecklichen Piratenkapitän Weißhaupt, der seiner Mannschaft die ganze Beute überlässt und nur die Kinder haben will. Die arbeiten sich dann in seiner Diamantenmiene zugrunde. Und sich eben manchmal auch schrecklich über die kleine Schwester ärgert, die gar so ängstlich ist. Ein bisschen Abhärtung kann da nicht schaden. Und genau das führt zur Katastrophe.

Schuld

Siri erkennt ihre Verantwortung an den entsetzlichen Ereignissen. Die Piraten haben ihre Schwester geraubt, weil Siri sie alleine zum Beerensammeln an eine andere Stelle geschickt hatte. Wäre Siri in der Nähe gewesen, hätte sie die drohende Gefahr erkannt und sie hätten gemeinsam fliehen können. Jetzt ist der schlimmste Albtraum wahr geworden: Miki ist in Hand der fürchterlichen Verbrecher. Aber noch ist Siri guten Muts. Schließlich ist sie nicht alleine. Es gibt Erwachsene, die sich um das Problem kümmern werden. Genau darin liegt ihr größter Irrtum.

Sie muss erkennen, dass in ihrem Dorf nur jeder an sich selbst denkt. Das Piratenschiff zu verfolgen ist eine viel zu riskante und aussichtslose Angelegenheit. Keiner wagt das. Falsch: Einer will es riskieren, ausgerechnet der Vater der beiden Mädchen. Aber dass das wenig Sinn macht und nur eine Verzweiflungstat ist, spürt die Zehnjährige sofort. Es hilft alles nichts: sie muss versuchen, Miki zu retten. Nachts stiehlt sie sich heimlich aus dem Haus und schafft es tatsächlich auf ein Schiff. Ihr Ziel ist die Pirateninsel.

Angst und Mut

Siri ist eine wahre Heldin. Sie kämpft trotz aller Schwierigkeiten beharrlich weiter, verliert ihr Ziel nicht aus den Augen. Auch als in Momenten, in denen sie es sich in einer Situation gemütlich machen könnte, endlich ausruhen und es sich gut gehen lassen, spürt sie, dass ihre Verschnaufpausen eben nur Pausen sind. Sie hat eine Aufgabe zu erfüllen. Dabei geht es nicht um ihr Wohl, sondern um das der kleinen Schwester. Die Moral, nach der sie handelt, orientiert sich – und das ist sicher nicht altersgemäß – an übergeordneten, ethischen Prinzipien. Was sie um sich herum erlebt, sind Menschen, die vor allem an materiellen Dingen interessiert sind. Siri ekelt das an. Es geht weder um Reichtum noch um Macht. Ihr geht es um viel mehr.

Frida Nilsson schickt ihre Heldin durch eine Welt voller Eis und Schnee. Es ist kalt, bitterkalt. Sogar das Meer gefriert. Den Realismus der Schilderungen ergänzt Nilsson punktuell durch märchenhafte Elemente wie beispielsweise die Begegnung Meerjungfrauen. Sie geht sparsam damit um, meist kämpft Siri alleine in einer rauen Welt, ganz ohne magische Kräfte. Dass sie ihr irgendwann einen echten Freund zu Seite stellt, der verloren geht und wiedergefunden muss, ist eine gelungene Idee. Dass der Freund ein Erwachsener ist, der eigene Schwächen eingesteht, macht es nur noch überzeugender.

2014 wurde Frida Nilsson mit dem Astrid-Lindgren-Preis für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet. Tatsächlich weckt Siri schnell Erinnerungen an die starken Mädchenfiguren wie Pippi Langstrumpf oder Ronja Räubertochter. Sie ist ein Mädchen, das unbeirrt seinen ganz eigenen Weg geht, und beweist, dass das funktioniert. Sogar im Kampf David gegen Goliath.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Frida Nilsson: Siri und die Eismeerpiraten
(Ishavspiraten 2015). Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger
Mit Bildern von Torben Kuhlmann
Hildesheim: Gerstenberg 2017
376 Seiten. 14,95 Euro
Kinderbuch ab 10 Jahren
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