Jugendbuch | Kelly Barnhill: Das Mädchen, das den Mond trank
Eigentlich funktionieren doch die meisten Märchen nach dem gleichen Prinzip: Es gibt das Gute und das Böse. Das Böse erringt zunächst einen Teilsieg gegen das Gute, aber am Ende gewinnt das Gute. Dass das alles nicht so einfach ist, zeigt Kelly Barnhills märchenhafter Fantasyroman. Von ANDREA WANNER
Eine schreckliche Hexe versetzt eine ehemals glückliche Stadt am Rande des dunklen Waldes in Angst und Schrecken. Alle Fröhlichkeit ist aus dem Leben gewichen, denn jedes Jahr müssen die Bewohner ihr das jüngste Kind opfern. Das Kind wird im Wald ausgesetzt und Xan, die Grausame, holt es sich dort. Jahr um Jahr wiederholt sich das unmenschliche Ritual, stürzt Eltern in Verzweiflung, raubt den Menschen jede Hoffnung auf die Zukunft.
Zwischen einem riesigen Sumpf und einem bedrohlichen Wald eingezwängt, ernähren sich die Menschen vom Sumpfbrei und stumpfen im mehr ab. Sie finden sich damit ab, dass ihnen das Liebste geraubt werden kann. Zumindest die meisten. Und einer von denen, die diese furchtbare Grausamkeit mit ansehen muss, ist Antain, auf den als Angehöriger einer privilegierten Schicht eigentlich eine bessere Zukunft wartet.
Barnhill erzählt vielschichtig. Sie bevölkert ihr Abenteuer mit den unterschiedlichsten Figuren wie eben jenem rechtschaffenen Antain und seinem Onkel, einem eitlen, aufgeblähten skrupellosen Gockel. Wir treffen auf die Hexe, die für all das Schlimme verantwortlich sein soll, und lauschen den amüsanten Dialogen zwischen ihr und dem Sumpfmonster Glerk. Und wir lernen Luna kennen, eines der geraubten Kinder, das von der Hexe statt mit Sternenlicht versehentlich mit Mondlicht gefüttert wird – was Folgen haben wird. Wir amüsieren uns über den Drachen Fyrian, der sich für riesig hält und dabei nur die Größe einer Taube hat.
Alle sind unverwechselbar skizziert. Verschiedene Handlungsstränge, unterschiedliche Perspektiven und Zeitebenen machen das Ganze komplex. Natürlich geht es um das Gute und das Böse, aber vor allem geht es um Macht und Gier. Nicht jeder, der davon frei ist, ist damit automatisch gut. Man kann Fehler aus Unwissenheit machen, weil man es gut meint. Man kann Kräfte besitzen, mit denen man nicht umgehen kann. Auch das kann Folgen haben, mit denen keiner rechnet.
Zwischen Witz und Poesie, Ernst und Heiterkeit geschickt balancierend findet die Handlung mäandernd ihren Weg. Ein eigenes Märchen rahmt die Geschichte, es erzählt von einer Hexe. Was als Rätsel beginnt, findet seine Lösung. Die ist stimmig, hat viel Gutes, aber eben nicht nur. Schön!
Titelangaben
Kelly Barnhill: Das Mädchen, das den Mond trank
(The Girl Who Drank the Moon, 2016)
Aus dem Amerikanischen von Sandra Knuffinke und Jessika Komina
Frankfurt: Sauerländer 2018
460 Seiten. 16,99 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander
Reinschauen
| Leseprobe