/

Ein großartiges Buch für ein kleines Lebewesen

Kulturbuch | Heidi und Hans-Jürgen Koch: Thank You, Mouse!

Licht und Schatten, hell und dunkel, porträtiert in aller Schönheit, in jedem Alter, jeder nur denkbaren Pose: die Labormaus. 96 Seiten, die zu einer gefühlvollen Hommage an jene kleinen Wesen wird, die uns Menschen so verflixt und ungeahnt ähnlich sind. Von BARBARA WEGMANN

Thank you mouseHeidi und Jürgen Koch haben ein sehr talentiertes Händchen dafür, Themen mehrschichtig fotografisch darzustellen. Sie studierte Sozialarbeit, er Verhaltensforschung, irgendwann widmeten sie sich beide »nur« noch der Fotografie, mit großem Erfolg. So ist dieser Bildband nicht nur eine Aneinanderreihung exzellenter Fotografien jener kleinen Lebewesen, die ihr kurzes Dasein in den Laboratorien dieser Welt fristen. Die Bilder, verknüpft mit einer sehr informativen und detailreichen Einführung, regen schnell zum Nachdenken an, zur Auseinandersetzung mit dem Thema Laborversuche mit Tieren.

›Thank You, Mouse!‹ Das ist ein »Denkmal« für den kleinen Winzling, der mit »Abstand das Gros aller Versuchstiere« stellt, ein »effizientes Forschungswerkzeug« ist. Millionen Mäuse werden gezüchtet, als Ware verschickt in alle Welt, schließlich teilen Mensch und Maus etwa »95 bis 98 Prozent ihres Genoms«. »Die Probanden sind klein, billig zu halten, leicht zu handhaben und vor allem – sie vermehren sich prächtig.«

Von der Züchtung von Farbmäusen berichten die Autoren, in England, eine »beliebte Freizeitbeschäftigung« im 19. Jahrhundert. Sie führte zur Gründung des ersten ›National Mouse Clubs‹, der ein Auge auf die Regeln und Standards der Zucht werfen sollte. Im 20. Jahrhundert züchtete eine ehemalige Grundschullehrerin in Amerika Mäuse, ein Unterfangen, das nicht nur schnell beachtlich wuchs, sondern auch über viele Kontakte zu Wissenschaftlern schließlich nach Harvard führte. Dort begann Clarence Cook Little, den man dann den »Mouse-Man« nannte, zig Generationen von Mäusen in Inzucht zu verpaaren. »Die produzierten Nachkommen sind zu 99 Prozent genetisch identisch. Die moderne Labormaus ist geboren.«

Heute klingen Forschungsmöglichkeiten mit Mäusen, die Ziele der Wissenschaftler im Kampf gegen Krankheiten, wie aus einem Science-Fiction-Roman. »Das Potential ist schwindelerregend. Für Enthusiasten ist es der Heilige Gral, für Apokalyptiker die Büchse der Pandora.« Die Maus, so schreiben die beiden Autoren, habe nie eine Wahl gehabt, der Mensch jedoch koppele sein Schicksal an das der Mäuse.

Die Einführung wie gesagt, sehr inhaltsreich, sie motiviert schnell dazu, sich vielleicht weitergehend mit der Geschichte der Labormäuse zu beschäftigen, die Bilder, die den wunderbaren, den so speziellen Bildband ausmachen, sie gehen mit all diesen Informationen natürlich ganz automatisch und selbstverständlich an Herz und Nieren, machen ohne jedes weitere Wort klar, es sind einzigartige Tiere, Geschöpfe, die als »anonyme Masse Tiermaterial« auf den Arbeitstischen der Labore landen. Nach diesen Fotografien aber sind sie gar nicht mehr so anonym. Sie erhalten – und das war die Absicht der beiden Fotografen – »ihre Individualität und Persönlichkeit zurück«.

Heidi und Hans-Jürgen Koch haben übrigens auch über die Geschichte der Büffel einen ebenso großartigen Bildband herausgebracht und ein anderes Buch, ›Animal Affairs‹ begeistert ebenso durch eine Foto- und Text-Präsentation, in der Worte dem Bild eine ganz neue Ebene geben, so wie hier: Ein Denkmal für die »kleinen Helden« und, wie die Autoren meinen, es sei Zeit, danke zu sagen.«

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Heidi u. Hans-Jürgen Koch Thank You, Mouse!
A-Baden: Edition Lammerhuber 2020
96 Seiten, 39, 90 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Entzweiungsfluch

Nächster Artikel

Zeit für Veränderung

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

Kampf um Troja

Kulturbuch | Eberhard Zangger: Die Luwier und der Trojanische Krieg Wer nach Tikal oder sagen wir nach Angkor Vat verreist und sich über Land und Leute informiert, dem wird nicht entgehen, dass überall ein starkes Interesse daran besteht, die eigene Kultur und die eigene Geschichte zu sortieren. Von WOLF SENFF

Abgeschieden und doch so international

Kulturbuch | Paolo Verzone: Spitzbergen

Spitzbergen, damit assoziiert man schnell Kälte, polare Klimaverhältnisse, Einsamkeit, karge Landschaft, ewiges Eis, eben weit, weit weg. Befasst man sich etwas genauer mit diesem Ort, beziehungsweise mit dieser Inselgruppe, dann kann es noch so frostig sein, man ist fasziniert von der Geschichte, all dem, was die Inseln erzählen und den wenigen Menschen, die soweit nördlich über dem Polarkreis wohnen. BARBARA WEGMANN hat in dem Bildband geblättert.

Von Anfang bis heute

Kulturbuch | Klaus Schikowski: Der Comic. Geschichte, Stile, Künstler Ein kundiger und launiger Streifzug durch die Comic-Historie: Klaus Schikowskis kulturgeschichtlicher Abriss ›Der Comic‹ verdichtet knapp, aber umfassend ein grundlegendes Wissen über Geschichte, Stile, Künstler des Mediums. Von CHRISTIAN NEUBERT

Champagner in der Chefetage

Kulturbuch | David Graeber: Schulden Zurzeit scheint David Graeber everybody’s Knuddel-Radikalinski zu sein. Der gelernte und lehrende Anthropologe mit dem kecken Jungsgesicht düst von Occupy!-Camp zu Occupy!-Camp, bedient zwischendurch allerlei Medien mit frisch-fröhlichen Interviews, heimst Jubelrezensionen in unseren meinungsmachenden Blättern und sogar verbale Streicheleinheiten von manchem Banker ein. Dabei ist das, was er der Welt zu sagen hat, keine leichte Kost, sondern ein wissenschaftlich fundierter Generalangriff auf den Kapitalismus. Wie man seinem 400-Seiten-Werk Schulden. Die ersten 5000 Jahre entnehmen kann. Von PIEKE BIERMANN