Dass Männer weibliche Anteile haben können, pfeifen die Spatzen so anhaltend von den Dächern, dass es sich wohl mittlerweile jedem mitgeteilt hat. An einem der virilsten Maler der klassischen Moderne überhaupt, dem großen Max Beckmann, untersucht die Hamburger Kunsthalle mit einer neuen Präsentation jetzt beispielhaft, wie es sich mit der Darstellung der beiden Geschlechter in seinem Werk tatsächlich verhält. Von PETER ENGEL
Die Ausstellung mit dem Untertitel »weiblich-männlich« bietet mit 130 Werken aus allen Schaffensphasen des Künstlers reichlich Anschauungsmaterial zur Beantwortung der Frage, ob der so überaus männlich wirkende Beckmann nicht sehr wohl auch jene oben genannten »weiblichen Anteile« hatte – er selbst war davon übrigens fest überzeugt.
Das eine ist, dass sich der sehr gebildete Maler in der Tat mit allerlei theoretischen Texten befasst hat, speziell auch mit den Geschlechterrollen, aber schlägt sich das auf der anderen Seite in seinen Bildern wirklich so deutlich nieder, um ihn fast zu einem Vorläufer der Gender-Debatte zu machen, wie jetzt die Hamburger Zusammenstellung seines Schaffens suggeriert? Schon die zahlreichen Selbstbildnisse Beckmanns, die üppig in den unterschiedlichsten Stilisierungen dargeboten werden, sprechen da eine eindeutige Sprache, denn sie sind durchweg von typisch männlichen Zügen wie Kantigkeit, Widerborstigkeit und Dominanz bis zur Herrschsucht hin bestimmt. Und fast immer ist das eckig vorspringende Kinn des Malers zu sehen, ein entscheidendes Merkmal seines breiten und vollen Gesichts. Dass auf dem frühen »Selbstbildnis Florenz« von 1907 die Geste der linken Hand, die eine Zigarette hält, beinahe »weibisch« geziert gerät, ist eher ein pointierter »Ausrutscher« und nicht die Bestätigung einer These.
Auch auf den Porträts von männlichen Wegbegleitern, die sich für die Anerkennung von Beckmanns Werk teils vehement einsetzten, ist von deren weiblichen Anteilen – mit einer Ausnahme – eigentlich nichts zu spüren. Dem Regisseur Ludwig Berger malte er etwas ungelenk zwei Blumen zwischen die Finger der rechten Hand, die wohl als Tulpen zu identifizieren sind. Den Dargestellten selbst irritierte diese Zugabe nach eigenem Zeugnis als unpassend, und ob der Maler damit wirklich einen Hinweis auf Bergers Homosexualität geben wollte, scheint ungeklärt zu sein, er wusste von dessen »Abweichung« gegenüber einem eindeutig männlichen Typus womöglich gar nichts.
Auf der anderen Hand hat Beckmann bei seinen Bildnissen weiblicher Personen aus seinem Bekanntenkreis deren Erscheinungsbild nicht etwa männlich »gebrochen«, was ja bei seiner grundsätzlichen Einstellung möglich gewesen wäre, sondern betont durchaus deren Attribute von Damenhaftigkeit und legt malerisch deutlich Wert auf ihre feine Garderobe. Abweichend davon allein das Porträt einer Rumänin aus dem Jahr 1922 mit etwas burschikos in die Taille gestemmten Armen und einer leicht medusenhaften Anmutung.
Bleiben die Paardarstellungen, die zweifellos zu den Höhepunkten der Ausstellung gehören. Sie reichen von Doppelbildnissen mit seinen beiden Frauen bis hin zum späten Gemälde »Odysseus und Kalypso« von 1943, dem wohl größten Schatz im reichhaltigen Beckmann-Werkbestand der Hamburger Kunsthalle selbst. Diese Werke lassen sich in der Tat mit viel Gewinn dahin ausdeuten, wie sich der Maler das Verhältnis der Geschlechter vorstellte, wie er es im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung akzentuierte und abwandelte und wie wichtig es für sein Schaffen ist.
Das reicht von der fast noch impressionistischen Malweise des »Doppelbildnisses Max Beckmann und Minna Beckmann-Tube« aus dem Jahr 1909, das mit der dargestellten wechselseitigen körperlichen Annäherung der beiden Protagonisten geradezu ein Liebesbekenntnis ist, bis hin zur »gespielten« Zurückhaltung des »männlichen« Odysseus gegenüber der höchst verführerisch dargestellten Kalypso, die ihn geradezu umgarnt. Das bestechende Gemälde, auf dem sich der Maler in dem mythischen Helden spiegelt, ziert auch den Einband des Hamburger Katalogs.
Zwischen den Extremen des frühen Doppelbildes und der Odysseus-Adaption steht ein Selbstporträt Beckmanns zusammen mit seiner zweiten Frau Mathilde aus dem Jahr 1941. Es zeigt den Künstler in dunklem Anzug, Hut und Stock in nüchterner Weise als Bürger, nur der schwungvoll um den Hals drapierte Schal bringt einen Hauch von Künstlertum in das etwas statuarisch wirkende Gemälde. Die Frau an seiner Seite erscheint in fast dienender Rolle, legt die Hand vertrauensvoll auf seine Schulter und hat einen Blumenstrauß in der Hand, als schritte man zusammen zu einer Abendeinladung.
Sind damit die Hauptlinien der Ausstellung umrissen, so finden sich daneben noch allerlei Bilder, die andere Aspekte beleuchten. Da gibt es etwa aufschlussreiche Porträts seiner Mutter, seiner weiblichen Gönnerinnen und eines imaginären Freundeskreises, der Bildnisse von Männern an einem runden Tisch versammelt, die sich in Wahrheit nie begegnet sind. Die Mutter seiner ersten Ehefrau, eine gebildete Dame, die Beckmann sehr schätzte, stellte er 1919 in einer Art Denkerpose dar, mit einem geöffneten Buch auf ihrem Schoß. Sehr merkwürdig auch eine familiäre Szene in einem fahrenden Auto von 1914 mit der ganz an den Rand gedrängten Frau und dem kleinen Sohn, der fast flehentlich nach dem Vater greift, während dieser sich jedoch abwendet und dem Treiben auf der belebten Straße zuschaut.
Wenn sich auch das meiste, was zur Thematik »weiblich-männlich« über das Werk Beckmanns zu bemerken ist, eher in den Texten zu den einzelnen Themen als auf den Werken der Hamburger Ausstellung selbst findet, so ist die mit Hilfe vieler Leihgaben zusammengestellte Bilderfolge doch insgesamt so anregend, dass man sich gern auf diesen bildnerischen Kosmos eines großen Malers einlässt. Verweilt man dabei eher vor den Hauptwerken und sucht sie neu zu sehen, so spielt sich das eben vor dem Hintergrund von weniger überzeugenden Arbeiten ab, die aber notwendig sind, um die bedeutenderen Werke noch bezwingender hervortreten zu lassen.
| PETER ENGEL
| TITELBILD: Montage: Bildnis einer Rumänin (Bildnis Frau Dr. Heidel), 1922 (links) Öl auf Leinwand, 100 x 65 cm Dauerleihgabe der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen Selbstbildnis Florenz, 1907 (rechts)Öl auf Leinwand, 98 x 90 cm Dauerleihgabe Nachlass Peter und Maja Beckmann Hamburger Kunsthalle / bpk © VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Titelangaben
Max Beckmann – weiblich-männlich
Hamburger Kunsthalle bis zum 24. Januar 2021
Glockengießerwall 5, 20095 Hamburg
Der Katalog zur Ausstellung ist im Prestel Verlag. München erschienen