/

Zwischen Hohlweg und Holzweg

Menschen | Zum Tod des Schriftstellers Günter de Bruyn

»Der Preis hat sich die Erhaltung unserer Sprache zum Ziel gesetzt, das entspricht auch meinen Vorstellungen«, erklärte der Schriftsteller Günter de Bruyn, als ihm 2006 der Jacob-Grimm-Preis verliehen wurde. Ein Porträt über den Schriftsteller von PETER MOHR

»De Bruyn hat mit seiner Biografie und seinen Werken bewiesen, dass die Sprache das stärkste Band zwischen beiden Teilen Deutschlands gewesen ist«, erklärte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse damals in seiner Laudatio. Das Preisgeld in Höhe von 35000 Euro wollte de Bruyn in seine Bücher fließen lassen, »die ich hoffe noch schreiben zu können«, hatte der bis zuletzt noch voller Tatendrang steckende Autor damals erklärt.

Zuletzt hat er zwei Bände mit äußerst lesenswerten, vor allem stilistisch brillanten biografischen Essays vorgelegt hat, in denen er sich dem preußischen Staatskanzler Hardenberg und dessen Liaison zu einem Kindermädchen (›Die Somnambule oder Des Staatskanzlers Tod‹) und dem romantischen Dramatiker Zacharias Werner (›Sünder und Heiliger‹) widmete.

Günter de Bruyn hat es verstanden, sich durch vier Jahrzehnte DDR-Diktatur hindurchzulavieren, ohne sich zum Büttel der Machthaber degradieren zu lassen. Allerdings gehörte der in Ost wie West gleichermaßen renommierte Autor (unter anderem Heinrich-Mann-Preis, Lion-Feuchtwanger-Preis, Heinrich-Böll-Preis, Konrad Adenauer-Preis) auch nicht zum Kreis der lautstarken Oppositionellen gegen das SED-Regime. Vor allem in der Bundesrepublik wurden de Bruyns Bücher zumeist von der Kritik euphorisch bejubelt: von der vorzüglichen Jean Paul-Biografie (1975) über die ›Märkischen Forschungen‹ (1979) bis hin zu ›Neue Herrlichkeit‹ (1984) und »Buridans Esel« (1986).

Als »tot« bezeichnet Günter de Bruyn heute im Rückblick seinen Romanerstling ›Der Hohlweg‹ (1963), in dem er, um überhaupt veröffentlicht werden zu können, erhebliche Zugeständnisse an den sozialistischen Realismus der DDR-Aufbauprosa machen musste. »Holzweg« nannte de Bruyn durchaus sinnstiftend sein Werk in jüngster Vergangenheit.

Günter de Bruyn, der am 1. November 1926 in Berlin geboren wurde, absolvierte nach dem Einsatz an der Ostfront eine pädagogische Ausbildung. Doch als Dorflehrer in der Mark Brandenburg galt das Nicht-Parteimitglied als unsicherer Kantonist in der rigiden DDR-Schulpolitik; de Bruyn wechselte noch einmal selbst auf die Schulbank und wurde in den frühen 1950er Jahren Bibliothekar.

1996 präsentierte der Autor unter dem Titel ›Vierzig Jahre‹ den zweiten, bis zum Mauerfall reichenden Teil seiner Autobiografie. Das Buch zeigte, dass Günter de Bruyn nie ein Mann der schnellen Entschlüsse war. Wenn andere handelten, versank er in tiefgehende Reflexionen.

Mitten in die Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag des Mauerfalls erschien 1999 de Bruyns Essayband ›Deutsche Zustände‹, in dem er den Vereinigungsprozess kritisch hinterfragte und eine gewisse Stagnation konstatierte: »Die Nation hat schlechte Laune. Sie ist wieder vereint, aber nicht glücklich.« Niemand, so de Bruyn, bestreite in den neuen Bundesländern die Vorzüge, aber sie seien zu schnell selbstverständlich geworden.
Diese exponierte Form der Unzufriedenheit unter der Bevölkerung der ehemaligen DDR sei »häufig von tatsächlicher oder vorgetäuschter Erinnerungsschwäche bestimmt.« Befunde, die bis heute ihre Aktualität nicht eingebüßt haben.

Neben Romanen, Biografien und Essays hat de Bruyn, der zuletzt zurück gezogen im brandenburgischen Görsdorf (80 km südwestlich von Berlin) lebte, auch einige äußerst lesenswerte Sachbücher vorgelegt, die zumeist um sein Lieblingssujet Preußen kreisen – so die Chronik ›Die Finckensteins‹, der Band über Berlins Prachtstraße »Unter den Linden« oder ›Die Zeit der schweren Not‹ (2010), in dem er Schicksale aus dem Berliner Kulturleben des frühen 19. Jahrhunderts rekonstruiert hat.

Bereits am letzten Sonntag ist Günter de Bruyn, einer der letzten bedeutenden deutsch-deutschen Schriftsteller, in Bad Saarow im Alter von 93 Jahren gestorben.

| PETER MOHR
| TITELFOTO: Bundesarchiv Bild 183-Z1229-317, Berlin, Begegnung zur Friedensförderung, Wolf; de Bruyn.jpg

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Erinnerungen an die Großmutter

Nächster Artikel

Ein Vorläufer der Gender-Debatte?

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Ausgewechselt in der zweiten Halbzeit

Menschen | Monica Lierhaus: Immer noch ich Monica Lierhaus war die erfolgreichste deutsche Sportjournalistin, behauptete sich selbstbewusst in einer Männerdomäne und wurde verlässlich getragen von einer intakten Familie und einer langjährigen Partnerschaft. Doch eine unglückliche Verstrickung von Komplikationen während einer Gehirnoperation beförderte die junge Frau 2009 ins Abseits. Sieben Jahre später blickt sie zurück und zieht gleichermaßen verwundert wie stolz das Resümee: Immer noch ich. Von INGEBORG JAISER

House Music With vocals? Oh, Go On Then!

Bittles‘ Magazine | Interview Dinky, real name Alejandra Iglesias, has over the years, produced some of the most sensual and exciting house music around. Releases on Cocoon, Truam, Crosstown Rebels and Wagon Repair have moved clubbers everywhere with their lush tech-house grooves. Single Acid In My Fridge thrust her into the limelight in 2005, and since then each release has been eagerly anticipated by an ever growing batch of clued-up listeners who have fallen for Dinky‘s versatile and ever-shifting sound. Previous albums May Be Later, Anemik and Black Cabaret were all strong records that somehow managed that tricky task of

Das Leben – Ein Abenteuer

Kulturbuch | Alfred Hornung: Jack London. Abenteuer des Lebens Am 12. Januar 1876 wurde mit John Griffith Chaney einer der erfolgreichsten Autoren der vorletzten Jahrhundertwende in San Francisco geboren. Bekanntheit erlangte er unter dem Namen Jack London, sein Leben gilt als verkörpertes Idealbild des ›Gilded Age‹ in den USA. Von JULIAN KÖCK

Gegen den Mainstream

Menschen | Zum 80. Geburtstag der Schauspielerin Vanessa Redgrave

Schon Vanessa Redgraves Geburt war ein Großereignis in der Londoner Kunstszene. Ihr Vater Michael und der grandiose Laurence Olivier standen als Laertes und Hamlet am 31. Januar 1937 auf der Bühne des Londoner Old Vic, als Olivier nach der Vorstellung vor das Publikum trat und verkündete: »Meine Damen und Herren, eine große Schauspielerin hat das Licht der Welt erblickt. Laertes hat eine Tochter.« Von PETER MOHR

Lockdown im Paradies

Kulturbuch | David Hockney / Martin Gayford: Frühling wird es sicher wieder

Wieviel Trost und Hoffnung im Lauf der Jahreszeiten, im unaufhaltsamen Wandel der Natur verborgen liegt, können wir alle erfahren. ›Frühling wird es sicher wieder‹ verkündet zuversichtlich der Maler, Grafiker und Fotograf David Hockney mit seinen Bildern aus der Normandie und im angeregten Austausch mit seinem Freund, dem Kunstkritiker Martin Gayford. Von INGEBORG JAISER