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Landschaft

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Landschaft

Landschaft, jedermann hat seine inneren Landschaften, so einfach, die Dinge sind leicht zu verstehen: er ist abgründig, ein Fels in der Brandung, stürmisch, wolkenverhangen, ist eine Sandwüste, eine stille Lagune, eine aufblühende Wiese, ein reißender Gebirgsbach, du verstehst, jedermann hat seine inneren Landschaften, er könne sie pflegen, doch sie können sich ändern, indem unversehens ein Gewitter heraufzieht, oder sie wechseln zu einer anderen Szenerie.

Weshalb, wer weiß das schon, sagte Farb, die Dinge sind, wie sie sind, du verstehst, man beobachtet, lenkt den Blick auf Details, erkennt Zusammenhänge, spürt Stimmungen nach, nein, niemand kann sich teilnahmslos zurücklehnen, keineswegs, oder gar daran denken, zu fotografieren, das hieße die Welt falsch auffassen, die Begierde der Augen ist billig, es kommt auf die inneren Landschaften an.

Ob er sich an Brandner erinnere, fragte Farb.

Tilman lächelte. Der rotblonde Mittvierziger von überwältigendem Mitteilungsdrang, sagte er, er ertrug es nicht mehr in der Stadt, manch einer läßt jene innere Instanz vermissen, sagte er, die nicht jeden Unfug ungeprüft durchläßt.

Brandner hat sich lange nicht sehen lassen, die Verhältnisse ändern sich rasant, was wohl aus ihm geworden sein mag.

Einer wie er ist nicht jeder Gesellschaft willkommen.

Ohne Rast und Ruhe war er, sagte Farb, durch nichts aufzuhalten, seine Präsenz strahlte eine Aura von drängender Tätigkeit aus und duldete keinen Aufschub, er wechselte dann nach Berlin, er hatte sich, ehrlich gesagt, nicht im Griff, sagte Farb, doch nicht daß er mit sich unzufrieden gewesen wäre, wie lasse sich das beschreiben, er hatte etwas von einem Sprengkörper, dessen Lunte, einmal angezündet, ein Leben lang brennt.

Tilman lächelte und griff zu einem Keks. Oder, sagte er, ist von einem Dämon besessen, einer inneren Kraft, die unter jeweils bestimmten Umständen von ihm Besitz ergreift.

Anne schwieg und schenkte Tee ein.

Farb stand auf und ging einige Schritte zum Fenster, er warf einen Blick zum Gohliser Schlößchen.

Schwierig, sagte Tilman, er frage sich, ob das Verhalten nun ziellos sei und letztlich wenig mehr als blinder Aktivismus, und geschwätzig sei er gewesen, ohne Ende geschwätzig.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf, ließ einige Sekunden verstreichen, Stille füllte den Raum, und tat sich einen Löffel Sahne auf.

Jeder müsse einschätzen können, wann es genug sei, sagte er.

Dialogunfähig, konstatierte Tilman.

Eine Landschaft, fragte Farb, vielleicht ein Wasserfall, schlug er vor, der alles um sich herum übertöne, oder ein reißender Strom, der alles mit Getöse hinwegspüle.

Er wird auch Ruhephasen kennen.

Farb lachte. Die erträgt er unter Schmerzen, das hält er nicht aus, ein Selbstdarsteller, spottete er, den es auf die Bühne drängt, Stille setzt ihn unter Druck, er leidet darunter und weiß es nicht.

Sobald er unter Menschen ist, muß er kommunizieren, die digitale Szene wird ihm zur Heimat geworden sein.

Er ist zwanghaft, Tilman, er ist humorlos, er kann nicht anders, man fragt sich, wie ihm wohl zu helfen wäre, und die Herzlichkeit, die er gelegentlich aufbringt, wirkt aufgesetzt, ein Fremdkörper.

Doch ob man ihm überhaupt helfen müsse, Farb, wandte Anne vorsichtig ein, denn in manchen Berufen sei eine derartige Disposition äußerst willkommen, gern auch gepaart mit Geltungsbedürfnis, sei sie eine erwünschte Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere.

Ein scharfes zweischneidiges Schwert, sagte Tilman, rückte ein Stück näher an den Couchtisch und nahm eine schmerzfreie Sitzposition ein.

| WOLF SENFF

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