Roadtrip voller Fernweh

Sachbuch | Peter Gebhard: Das grosse Bulli- Abenteuer Europa

Immer mehr Menschen zieht es mit Wohnwagen, Wohnmobil oder eben auch dem guten alten Bulli in die Ferne. Das muss ein Erlebnis ganz besonderer Art sein, eine Sehnsucht, die man schnell versteht, wenn man den Bildband durchblättert, meint BARBARA WEGMANN.

Ein alter VW-Bus vor einer skandinavischen Landschaft über der Nordlichter leuchtenBis ein alter T1 in den Ruhestand geht, da braucht es schon viel. Der von Peter Gebhard denkt gar nicht ans Aufhören. »Erwin machte trotz der einen oder anderen kleineren Panne alles tapfer mit,« so erzählt der Fotograf und Journalist, der schon mit zwei früheren Bildbänden seine Leidenschaft erfolgreich dokumentierte. Nun die große Route, die von Portugal über Spanien und Frankreich nach Italien, weiter in die Schweiz, über Deutschland nach Polen, Litauen, Lettland, Estland bis Finnland und Norwegen führte. Dass es da viel zu erzählen gibt- klare Sache, aber es gibt eben auch viel zu sehen und so ist das Buch eine unterhaltsame Mischung aus Reisebuch, Fotobuch, Texten, die von Begegnungen und Freundschaften erzählen und es ist natürlich eine große Liebeserklärung an den Bulli generell und »Erwin« im Besonderen, selbst wenn er sich in Sachen Bewunderung auch in arger Konkurrenz zu der abenteuerlichen Route mit vielen Highlights bewähren muss. Und dann war da ja Corona: Einschränkungen, Reglements, an die man sich halten musste, manchmal eine Streckenänderung, ein zusätzliches Abenteuer, das aber grandios gemeistert wurde. Ein Bulli lässt sich davon nicht abhalten. So kamen 25 000 Kilometer zusammen, die von 44 PS und einer großen Portion Abenteuerlust von Fahrer und Assistent Tobi erfolgreich bewältigt wurden.

Es sind, neben den teilweise wirklich grandiosen Fotos eben die Geschichten, die Erlebnisse, die Begegnungen, die die Bilder erzählerisch einbetten und das Buch »rund« machen. Bild und Text machen die Reise lebendig, nehmen Leser mit und wecken Fernweh. Oft ist es die Einsamkeit, die Abgelegenheit, die Peter Gebhard ansteuert, Orte, die wie aus der Welt gefallen scheinen, völlig versteckt liegen, dem Rest der Welt so nah und doch so fern.

Ein Oldtimer hat etwas, das Hunde oder Kleinkinder auch haben, man beachtet sie sofort, bleibt stehen, es beginnen schnell Gespräche, man tauscht aus. Und gerade dann, wenn es um Oldtimer geht, erzählt man wehmütig von früheren Zeiten, als der Bulli noch so schrecklich alltäglich war, man schließt Freundschaften, wird eingeladen, lernt Menschen kennen.

Viele so ganz besondere und doch einfache Menschen lernt der Autor kennen und schätzen. So auch Arturo, den »Teufelskerl« in der Schweiz. Bergsteiger, Bergführer, immer unterwegs gewesen auf Expeditionen, Klettertouren in aller Welt. »Die Berge wurden seine Obsession …Im heimatlichen Bergell kannte Arturo bald jeden Gipfel, jede Route, dann trieb es ihn in die Welt hinaus.« Alaska, Himalaja, der Mount Kenya, Patagonien. Menschen, die sich der Landschaft und den Bedingungen angepasst haben, Landschaften, die auf großformatigen Fotografien ihre Schönheit entfalten, Porträts von Menschen, die ein Stückchen aus ihrem Leben erzählen. Ein Buch, das Nähe, Ferne und Weite vereint.

Schön, besonders natürlich für Oldtimerfans: Auf sehr vielen Bildern ist der Bulli immer dabei, manchmal so klein, dass man ihn fast suchen muss, manchmal ganz partnerschaftlich als Wegbegleiter, an den sich Menschen lehnen, die man traf. Immer haben die Bilder etwas sehr Persönliches, entweder durch die Menschen, über die man etwas erfährt oder durch Peter Gerhards eigene Eindrücke. Gigantisch die Ligurische Grenzkammstraße in den Seealpen, Serpentinen, einsame, riesige Berglandschaften und dann, so groß wie ein Stecknadelkopf der Bulli in einer Kurve. Erklommen hat »Erwin« auch ein fast verlassenes Dorf in der Provinz Soria in Spanien, in tief stehender Sonne steht er dort, einsam zwischen den landestypischen Steinhäusern. Und dann wieder, auf einem anderen Bild mitten im weltbekannten Innenstadtort in Rothenburg ob der Tauber, alles scheint ausgestorben, nur der rot- weiße Bulli steht dort. Es war eben Corona- Zeit.

Ein Buch zum Blättern, aber viel, viel eher zum kapitelweisen Lesen, vielleicht ja nur ein Kapitel der Reise, irgendeines, dann ein anderes und, versprochen: dann gleich alle. Seite für Seite geht man mit dem Autor auf diese eindrucksvolle 25 000 Kilometer Route. Übrigens: Der Autor geht mit seinen Erlebnis-Erzählungen auch auf Tournee. Haben sie das Motorengeräusch eines alten Bullis schon im Ohr?

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Peter Gebhard: Das grosse Bulli-Abenteuer Europa
Von Lissabon über die Alpen nach Lappland
München: Frederking & Thaler Verlag 2023
192 Seiten, 45 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Webseite des Autors

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Marokkanische Scharade

Nächster Artikel

Taiping

Weitere Artikel der Kategorie »Sachbuch«

Kulinarische Favoriten

Sachbuch | Vergnügt vegan / Die Küche Persiens

Zwei Kochbücher, die zwei so verschiedene Welten vertreten. Ist das eine Buch eine spezielle Art der Ernährung, so entspringt das andere einer jahrhundertealten Ess-, Tisch- und Kochkultur. Beides spannend. Entscheiden sie selbst, welches Ihr kulinarischer Favorit ist. Von BARBARA WEGMANN

Im Zeitalter der Extreme

Gesellschaft | Ernst Piper: Diese Vergangenheit nicht zu kennen heißt, sich selbst nicht zu kennen

In einer Selbstbeschreibung des Historikers Ernst Piper heißt es: »In meinem gesamten Berufsleben ging es immer um Bücher. Ich habe Bücher gelesen, begutachtet, lektoriert, redigiert, rezensiert, herausgegeben, vermittelt, verlegt und einmal sogar gedruckt.« Sein erstes Buch ist 1978 erschienen, inzwischen sind ein Dutzend weitere dazu gekommen. Daneben ist Piper in seinem historischen Fachgebiet Neuere und Neueste Geschichte sowohl als Rezensent wie auch als Publizist tätig. Im Jahr 2018 erschien seine viel beachtete und herausragende Biographie über die Revolutionärin Rosa Luxemburg und bereits 2005 seine Biographie über Alfred Rosenberg, den Chefideologen Hitlers. Von DIETER KALTWASSER

Unsere Polit-Strategen

Gesellschaft | William Drozdiak: Der Zerfall. Europas Krisen und das Schicksal des Westens Zerfall. Schön und gut. Wenn allerdings später im Text von einem »ungewissen Ausgang des Streits um den Aufbau des vereinten Europa« die Rede ist, entsteht der Eindruck, dass es William Drozdiak bzw. dem Verlag bei dem Titel darum geht, mit einer kräftigen Prise Alarm eine Menge Staub aufzuwirbeln. Von WOLF SENFF

Venedig ist viel teurer als Berlin

Kulturbuch | Matthias Zschokke: Die strengen Frauen von Rosa Salva Wir alle glauben, die vielbeschriebene Lagunenstadt zu kennen. Sei es aus den Blickwinkeln von Thomas Mann, Ernest Hemingway oder Donna Leon. Doch Matthias Zschokke räumt auf mit falscher Romantik und Postkartenidylle. Trotzdem ist er schlichtweg überwältigt von Venedig, sogar ›Die strengen Frauen von Rosa Salva‹ haben es ihm angetan! Von INGEBORG JAISER

Auschwitz als romanzo-verità

Menschen | Luca Crippa / Maurizio Onnis: Wilhelm Brasse Wilhelm Brasse ist kein Geheimtip, auch wenn der Verlag das unauffällig suggeriert. Irek Dobrowolskis Film mit ihm und über ihn, ›Portretisca‹ (Der Porträtist), lief 2005 im polnischen Fernsehen und seitdem auf vielen internationalen Festivals. Es gab auch in deutschen Medien große Geschichten über Brasse, Erich Hackl hat ihm zwei literarische Reportagen gewidmet, und nach Brasses Tod im Oktober 2012 erschienen Nachrufe in aller Welt. Einen davon, so berichtet das Autorenduo Luca Crippa & Maurizio Onnis in seinem Blog, »hat Maurizio beinah zufällig online gelesen«. So entstand ein Projekt, das tatsächlich bis