Wintergedichte

Lyrik | Peter Engel: Drei Gedichte

Meinen Tag lesen

Wie er jeden Morgen anders
hereinbricht mit oder ohne
Einfall für mich, dem eine Zeile
entspringt direkt aufs leere Blatt.

Aufhellungen, Verfinsterungen,
mitgeteilt durchs Fensterglas
und am Schreibtisch konsumiert
als mein tägliches Schreibbrot.

Aber nicht nur die sichtbaren
Zeichen, auch die Leitungsrohre
transportieren Signale,
die verstanden werden müssen.

Und was kommt nicht alles herein,
wenn die Balkontür geöffnet ist,
wenn sie Tagesgeräusche einläßt
und die Gerüche der Jahreszeit.

Die Untersuchungen all dessen
auf dem geduldigen Papier,
die vagen Vorausdeutungen
und die klaren Befunde.

 

Die Sprache des Winters

Die hellen Einfälle des Lichts
malen sich in das Bild ein,
wenn ich in den Januar schaue,
der sich vor meinem Fester
mit feinen Höhungen inszeniert.

Über der Brüstung des Balkons
eine Zackenlinie, auf und ab
wie kurze und lange Wörter,
die ich in der Sprache es Schnees
benutze, um ihn zu verstehen.

Heute glitzern die Kristalle,
wenn die Sonne sie richtig trifft
und ihren Glanz hervorlockt,
sie verwandelt die weißen
Akzente in Wintermusik.

 

Fundstück im Januar

Im Eis eine eingefrorene
Fußspur, die Erstarrung
eines Schritts, als alles noch flüssig war
vor dem Frost und seiner Verwandlung
von Wasser in feste Materie.

Wie unter Glas die Umrisse
von Sohle und schmaler Hacke,
ein aparter Damenschuh
im Schneematsch, der dann gefror
und den Fehltritt haltbar machte.

Doch es ist nur ein Museum
auf Zeit, sobald es wieder taut,
zerfließt das eisige Fundstück,
löst sich der gefrorene Schritt
erneut in Schmutzwasser auf.

| PETER ENGEL

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

THE CUBES

Nächster Artikel

Gefühl

Weitere Artikel der Kategorie »Lyrik«

Front-Begradigung

Lyrik | Peter Engel: Zwei Gedichte

Frontbegradigung

Der Zickzack meiner Tätigkeiten,
die Schübe meines Tuns, Ausschläge
von Aktivität, von Wirksamkeit:
Das alles auf den Prüfstand
und mit fragenden Blicken,
Zurücknahmen und Beschränkungen.

Wann, wenn nicht heute?

Lyrik | Vierzeiler der Woche – von Michael Ebmeyer  Durch die Servicewüste schleicht ein einzelner Fuchs

Gedichte

Textfeld | Wolfgang Denkel: Gedichte

Ohne jeden Klang

Ein Heben des Kopfes
ein Blick zum Feld
damit die Weite mich
entstöre. Friedlich
durchrauschen mich
die Unvereinbarkeiten

Späte Antwort an Robert Gernhardt

Lyrik | Peter Engel: Späte Antwort an Robert Gernhardt

Sonette find ich sowas von gediegen,
ich schreibe täglich eines mit der Hand,
und kann davon genug noch gar nicht kriegen,
sie sind was für das Herz und für’n Verstand.

Das Grollen in den Träumen

Lyrik | Sascha Kokot: Zwei Gedichte

vor uns der Sandur im tiefen Frost
liegt die Ringstraße auf schwarzem Quarz
halb abgeräumt vor dem Ozean verkeilt
der Sockel vom Gletscherlauf aufgezehrt
gelangen wir nicht mehr zu den Kaltblütern
um sie in die geschützten Gehege zu führen
und uns vor dem Wintereinbruch einzudecken
so setzen wir zu den letzten Nachbarn über
senden von dort Anweisungen auf Kurzwelle
bis wir etwas erreichen das Plateau wieder offen ist
jagen die Meuten durch die Frequenzen und
lassen uns in den ewigen Nächten nicht schlafen
weil wir nicht sicher sein können
ob das nur die Sturmfront ist oder uns
schon das Rufen der Jährlinge durchfährt