Ein neuer Gedichtband von Andreas Altmann – und wer sich mit und vor allem in den Gedichten des in Berlin und in der Prignitz lebenden Autors auskennt, für den ist an dieser Stelle Vieles bereits gesagt, sind die Gedichte von Andreas Altmann im lyrischen Kanon doch längst zu einem Synonym für den gewissenhaften und jede Effekthascherei meidenden Umgang mit und die sorgsame Arbeit am Wort geworden, für einen eigenen Sprachkosmos, in dem er sich seit seinen ersten Bänden traumwandlerisch sicher bewegt; intensiv, souverän, freiwillig reduziert. Von STEFAN HEUER
Mir ist bewusst, dass gerade diese Reduzierung (Altmann hat eine Vorliebe für bestimmte Wörter, die wieder und wieder auftauchen und ein lyrisches Manta streuen) dazu führen mag, dass eilige Leser seinen Gedichten nicht viel abgewinnen können. Und auch, dass ihn einige als »Naturdichter« bezeichnen mögen, weil seine Texte einen Großteil ihrer Zeit im Schnee und Regen verbringen, dem Blick auf Bäume und Büsche folgen und sich von Kranichflügeln beschatten lassen. Aber natürlich ist das Quatsch, denn seine Schilderungen, seine Beschreibungen, seine festgehaltenen Spaziergänge sind nichts anderes als Äquivalente zum menschlichen Tun, sind Platzhalter für Personen, Stimmungen und Gefühle.
Von beiden Seiten der Tür, pünktlich zu Altmanns 60. Geburtstag Anfang Januar 2023 und wie seine vier vorhergehenden Gedichtbände beim Leipziger poetenladen erschienen, ist ein ernstes Buch geworden. Nicht, dass er bis dahin Klamauk verfasst hätte, auch der Vorgänger Weg zwischen wechselnden Feldern (2018) war schon ernst, aber der Tod beider Eltern ist in den neuen Gedichten auch nach Jahren noch sehr präsent, hat ihnen eine gesteigerte Tiefe und Intensität verliehen, mal klar benannt, mal verklausuliert. Und natürlich dringen die Gedanken und Erinnerungen tiefer, spiegeln und machen des eigenen Alters bewusst, weiß der denkende Mensch doch, dass mit 60 gute zwei Drittel rum sein dürften:
schaukel
du gehst nach jahrzehnten durch straßen
mit häuserverbundenen augen. ein licht
fällt auf dich, das zurückwächst. kindliche
schatten bilden spaliere, flüstern dir lieder
nie gehört, doch vertraut. es öffnet ein haus
seine türen und fenster. du drehst dich
darunter. stimmen erkennen dich wieder.
sie rufen, sie schweigen. du lächelst,
du singst. dein gesicht geht dir unter die haut.
dein kleid, es ist rot, es ist gelb, bläht sich
im wind auf der schaukel im hof, schmiegt sich
an den körper. himmel schwingt in den augen,
stößt auf die erde. der baum ging dir nie
aus dem kopf. er hängt an der schaukel.
Vielen der auf 4 Kapitel verteilten 60 Gedichte wohnt (auch) zwischen den Zeilen eine Bedrohlichkeit inne, die mir in den bisherigen Bänden von Andreas Altmann nicht so aufgefallen ist, wie sie es nun tut. Haben sich seine Gedichte wirklich so verändert? Oder liegt es an mir, liegt es an meiner Stimmung oder an der Tatsache, dass ich um die Präsenz des Abschieds in diesen Gedichten weiß? Blühende Felder setzen die Gedanken an Vergänglichkeit in Gang, in jedem lauen Lüftchen ein drohender Sturm, in jedem Sonnenstrahl die Vorahnung auf Hitze, anhaltende Dürre. Glück als nicht zu leugnende Momentaufnahme – ein Vogelnest nur so lange schön und friedlich, bis das erste Küken herausfällt.
Viel Tod, viel Abkehr, viel und langer Abschied. Aber: Es gibt auch Licht! Und dieses Licht strahlt so hell, wie Licht nur strahlen kann:
pfad
die grüne schneewiese liegt im nebel.
aus fenstern der holzbaracken dringt rauch.
sie sind vergittert, die eingänge nummeriert.
von den wänden blättert farbe. gehwege
dazwischen sind geräumt, einige stämme
in den eisenzaun gewachsen. die einzigen,
die nicht gefällt wurden. verklumpt sind
federn gerissener tauben, sie waren weiß.
in sichtweite wurden häuser mit getönten
scheiben gebaut, eins vom anderen verstellt.
im weiher sind fußabdrücke eingefroren.
das eis hat gesungen. maschinen hoben
tiefe löcher aus. gesenkte köpfe versteinern
den pfad. meine tochter bekommt einen sohn.
Eine neue Generation also, die sich hier ankündigt (bzw. beim Verfassen dieses Gedichtes angekündigt hat, ist der Enkel nun doch schon 5 Jahre alt und Empfänger der vorangestellten Widmung), und schon ist der Blick ein ganz anderer, siegt die Neugier, hat das alles wieder einen in die Zukunft führenden Sinn.
Den zumeist recht kurzen Sätzen, der konventionellen Zeichensetzung und der konsequenten Kleinschreibung ist Andreas Altmann auch in Von beiden Seiten der Tür treu geblieben. Hingegen relativ neu ist die Beschäftigung mit seinen sogenannten »Fabelhäusern«, denen das Buch ein eigenes Kapitel widmet und von denen er in den letzten Jahren bereits an die 500 Stück in die Welt geschickt hat: kleine Häuser aus Holz mit Dächern aus Metall und Armen und Beinen. Manche verharren gespannt, manche scheinen zu tanzen, manche haben seitlich einen Schlüssel, so als könne man sie aufziehen und in die Freiheit entlassen. Eine schöne Vorstellung eigentlich.
Titelangaben
Andreas Altmann: Von beiden Seiten der Tür
Leipzig: poetenladen 2023
104 Seiten. 19,80 Euro
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