Das MMORPG ›World of Warcraft‹ feiert sein 20-jähriges Jubiläum. Pünktlich zum runden Geburtstag erschien 2024 auch die nun zehnte Erweiterung ›The War Within‹. CHRISTIAN KANDLIN erklärt, wie Entwickler Blizzard das Spiel für ein größeres Publikum zugänglich macht – und dabei mit alten Gewohnheiten bricht.
Über ›World of Warcraft‹ in einem kritischen und wertenden Kontext zu schreiben, ähnelte schon in den vergangenen zwanzig Jahren zunehmend einer Sisyphos-Aufgabe. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit lässt sich bereits jetzt der nächste Patch in den kommenden Monaten erahnen, die nächste Erweiterung in zwei Jahren, und eine weitere in vier. Das hat zum einen damit zu tun, dass der zurückgekehrte Kreativchef Chris Metzen für das aktuelle Epos des MMOs bereits eine Trilogie ankündigte; zum anderen ist es in den vergangenen Jahren schon immer so gewesen und es gibt keinerlei Grund, für die nächsten Jahre etwas anderes zu erwarten.
Jede neue Erweiterung ähnelt dabei ein Stück weit den großen Disney/Marvel-Produktionen, die alle auf ihre eigene Art und Weise fesseln mögen, im Kern jedoch stets dasselbe Gerüst aufweisen. Seit 2016 und dem Start der Veröffentlichung von ›World of Warcraft‹: Legion lässt sich das Spiel in wesentliche Grundpfeiler aufteilen, die es seitdem in jedes folgende AddOn geschafft haben: Da wäre zum einen die PvE-Experience, die sich aus Gruppenaktivitäten wie Raids, skalierende Instanzen oder Open-World-Content zusammensetzen, sowie die PvP-Geschichten, die ebenfalls ihre eigene Fan-Gemeinde haben. Da sich die PvP-Sparte, mit der ich freilich wenig am Hut habe, meines Wissens nicht groß weiterentwickelt hat, möchte ich den Fokus auf dem PvE-Aspekt belassen.
Bewährte Muster
Seit der Etablierung dieser Systeme hat es in jeder Erweiterung und in jedem Patch stets einen aktuellen Raid sowie ein Set aus acht Dungeons gegeben, die in Form von Saisons für Herausforderungen und Belohnungen sorgten. Zwar ging es storybedingt in die verschiedensten Ecken Azeroths – von der Insel der Drachen bis hinab ins Reich den Toten – jedoch blieb dieses Gespann aus Raids, Dungeons (durch den hohen Schwierigkeitsgrad auch Mythisch + bzw. M+ genannt) sowie dem World-Content seitdem bestehen.
Diese Tatsache machte es gewöhnlich etwas obsolet, neue Erweiterungen von ›World of Warcraft‹ zu bewerten, da sich zwar das Gewand änderte, nach dem Erreichen der Höchststufe aber ohnehin wieder alle Spieler zu Raids und Dungeons schwärmten, bis die ideale Auswahl an Gegenständen von den Endbossen erbeutet wurde.
Die letzte Erweiterung ›Dragonflight‹, 2022 erschienen, sollte für Entwickler Blizzard da einen Schlusspunkt setzen. Nicht per se für die gewohnten Abläufe und Gameplay-Elemente, vielmehr wurde mit der Erweiterung sowohl ein neues Story-Kapitel eröffnet als auch gleichzeitig mit einigen Gameplay-Elementen aufgeräumt. Talentbäume wurden überarbeitet, Handwerksberufe sind wieder lohnend und endlose Grind-Elemente wurden entfernt. Gleichzeitig setzte das Spiel wieder auf mehr Exploration, eine offene, interessante Welt und ein dynamisches Flugsystem. Zwar konnte dieser frische Auftritt letztendlich nicht die gewohnten Muster brechen, es bildete jedoch eine Basis für das, was folgen sollte.
Wieso TWW ein Schritt in die richtige Richtung ist
Mit The War Within scheint die Idee hinter ›Dragonflight‹ und damit letztendlich auch ›World of Warcraft‹ erfolgreich an Flughöhe zu gewinnen: Die Welt fühlt sich wieder nach einer solchen an und gleicht nicht mehr einer digitalisierten Version eines Themenparks. Zwar bleibt die Zahl der neuen Gebiete an einer Hand abzählbar und die Unterschiede sind markant genug, um weiterhin dem üblichen ›WoW‹-Schema zuzugehören; allerdings hat sich hier sehr viel getan.
Ein kleiner Exkurs nach Khaz Algar, dem neuen Kontinent: Nach einer kurzen Intro-Quest landen wir am Strand einer mysteriösen, von Zwergen bewohnten Insel namens Dorn. In der Folge helfen wir diesen bei liebevoll gestalteten Aufgaben und folgen weiteren Problemen der Insel ins tiefe Innere: Ein großer Tunnel führt weit fernab in die Tiefe, die zum einen aus Höhlensystemen und -bewohnern besteht, dann aber wieder mit frischen Ideen, wie einer Menschensiedlung an einem unterirdischen Meer, überrascht. Abgerundet wird das Ganze durch eine Stadt der Fäden – natürlich benannt nach ihren achtbeinigen Bewohnern.
Es gibt viel zu tun in Khaz Algar, sowohl was die Hauptstory betrifft als auch die zahlreichen Nebenquests, die bereits in ›Dragonflight‹ mit Originalität überzeugen konnten. Während die primäre Questreihe oftmals etwas Pacing-Probleme aufweist, sind es die kleinen Nebengeschichten, die kurz zum Luftholen und Reflektieren anregen. Nicht selten werden dabei Themen wie Tod, Lebenssinn oder sogar Demenz behandelt – und ziehen in der Regel unter Tränen geschriebene Social Media Posts nach sich.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Etablierung eines neuen Systems: Tiefen, oder Delves, sind eine neue Form von PvE-Content, der nicht nur in Gruppen bestritten werden kann. Diese abwechslungsreichen Dungeons fallen meist etwas kürzer aus, bringen aber ebenfalls guten Loot – sofern man sich an die höheren Schwierigkeitsgrade traut. Mit ähnlichen Systemen hatte es Entwickler Blizzard bereits in Vergangenheit versucht: Insel-Erkundungen, Kriegsfronten, der Turm Torghast – alle vergebens, waren sie doch bereits mit dem Start der nächsten Erweiterung in Vergessenheit geraten und irrelevant für zukünftigen Content.
Delves wurden im Gegensatz zu den Vorgängern mit der Idee entwickelt, eine langfristige Einheit innerhalb des Systems zu bilden. Sie sind gekommen, um zu bleiben – und bleiben dabei auch noch ziemlich unterhaltsam.
Natürlich gibt es auch weitere Änderungen – etwa Helden-Talente oder die Accountausweitung von Ruf- und Banksystemen – diese werden im Vergleich zu der neuen Handhabung der Welt und dem Neuzugang im Gameplay-Loop jedoch fast schon als nettes Extra angesehen.
Die Demokratisierung
Doch was nun? All die Neuerungen können nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es sich bei The War Within immer noch um ein ›World of Warcraft‹ handelt. Das bedeutet: MMORPG in all seinen Facetten, Kampfsysteme, die einem rhythmusbasierten Tastendrücken entspreche und eine leistungsorientierte Community, die sich zwar gebessert hat, oftmals trotzdem toxische Tendenzen aufweist. Und natürlich das repetitive Schema, das sich stets vorausahnen lässt.
Als Spieler konnte ich ›World of Warcraft‹ über die Jahre hauptsächlich mithilfe der anderen Spieler genießen. Freunde, mit denen man Dungeons bezwingt und Gilden gründet, und Fremde, die zu Freunden werden: Ein MMORPG kommt und fällt mit seiner Community und den eigenen Verbindungen zu dieser. Mit Änderungen am Open-World-System und mehr Einzelspielerinhalten legen die Entwickler:innen den Spielenden mehr Möglichkeiten in die Hand, das Spiel auch alleine genießen zu können. Wie dieses System sich auch langfristig mit den anderen vertragen wird, bleibt offen.
Entsprechend fühlt es sich auch nicht wie der immer gleiche Trott an, eine Review zur aktuellen ›WoW‹-Erweiterung zu verfassen – dieses Mal gibt es nämlich tatsächlich etwas Neues. Der Vorstoß ist also getan – und scheint zu fruchten. Das MMO passt sich dem Casualisierungs-Trend an und wird zugänglicher. Ob es sich hier insgeheim um eine Gegenbewirkung schwindender Spielerzahlen handelt, lässt sich nur spekulieren. Optimistisch betrachtet kommt diese Entwicklung denjenigen entgegen, die eher alleine unterwegs sein wollen. Insofern begibt sich das Spiel auf einen positiven Pfad – und zeigt mir, dass ich auch ohne die altbekannten Kontakte zahlreiche Gründe habe, Azeroth mal wieder einen Besuch abzustatten.
| CHRISTIAN KANDLIN
Titelangaben
›World of Warcraft‹: The War Within
Entwickler und Publisher: Blizzard Entertainment
Erschienen: 26. August 2024
Plattform: PC