Von Mönchen und Nonnen

Digitalspielkultur | Interview mit Lukas Boch und Anna Klara Falke

Auf dieses Gespräch mit den beiden Spielforschern hat sich RUDOLF INDERST schon lange gefreut. Schließlich zählte das Buch ›Von bierbrauenden Mönchen und kriegerischen Nonnen‹ zu seiner Lieblingslektüre.

Rudolf Inderst (RI): Guten Tag Lukas Boch, guten Tag Anna Klara Falke, ich freue mich sehr, Sie zu einem kleinen Plausch bei uns begrüßen zu dürfen. Würden Sie sich bitte unseren Leser:innen kurz vorstellen und beschreiben, wie Ihr Arbeitsalltag aussieht und an welchen Projekten Sie derzeit arbeiten?
Zeichnungen eines mittelaterlichen Mpnchs und einer Nonne. Der Mönch hebt einen Bierkrug, die Nonne trägt ein Beil.Lukas Boch (LB): Mein Name ist Lukas Boch, ich bin Historiker und arbeite aktuell als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Hansemusem Lübeck, um dort die Ausstellung ›Games machen Mittelalter‹ für Ende 2026 zu kuratieren. Außerdem bin ich am ›Bonn Lab for analog Games and imaginative Play‹ für den Bereich moderne Brettspiele zuständig. Gleichzeitig promoviere ich an der Universität über Darstellung des Mittelalters im modernen Brettspiel. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf mittelalterlicher Klosterkultur. Zusammen habe ich mit Anna Klara Falke 2020 das Projekt ›Boardgame Historian‹ gegründet und bin mitverantwortlich für die Website ›Mittelalter.Digital‹. Bei mit dreht sich also tatsächlich hauptberuflich alles um Games (vor allem analoge), Geschichte und Museen,
Anna Klara Falke (AFK): Ich bin Archäologin und als wissenschaftliche Referentin am LVR-LandesMuseum in Bonn angestellt, dort beschäftige ich mich mit der Pflege und Vermittlung des Niedergermanischen Limes. Daneben forsche ich zu analogen Spielen, genau wie Lukas Boch bin ich im Projekt ›Boardgame Historian‹ aktiv. Uns interessieren dabei insbesondere Fragen danach, wie historische Themen in Spielen dargestellt werden und was sich daraus für Rückschlüsse auf die heutige Wahrnehmung von Geschichte ziehen lassen.

 

Ein Foto von Lukas Boch und Anna Klara Falke - umringt von zahlreichen Spielekartons.
Lukas Boch und Anna Klara Falke

 

RI: Lassen Sie uns über Ihren neuen Band ›Von bierbrauenden Mönchen und kriegerischen Nonnen. Klöster und Klerus in analogen und digitalen Spielen‹ sprechen. Wie genau kam das Projekt zustande?
AKF: Dr. Sebastian Steinbach ist im August 2021 auf Lukas Boch und mich zugekommen und gefragt hat, ob wir uns eine gemeinsame Ausstellung zu Klosterkultur im modernen analogen Spiel in der altehrwürdigen Abtei Liesborn vorstellen könnten. Da mussten wir nicht lange überlegen und waren direkt Feuer und Flamme. Denn das Thema Kirchengeschichte und Populärkultur ist genau wie die Forschung zu modernen analogen Spielen als Ganzes chronisch unterrepräsentiert.
Schnell merkten wir, dass die Bandbreite des Themas unmöglich in einer einzigen Ausstellung untergebracht werden konnte und so wuchs die Idee, zusätzlich zur Ausstellung, das Thema in einem wissenschaftlichen Sammelband weiter auszudifferenzieren.
LB: Für mich war es zudem eine wunderbare Möglichkeit, erste Erkenntnisse meiner Dissertation zum Mittelalter im modernen Brettspiel einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren und auch für das Projekt ›Boardgame Historian‹ bot sich die Chance, unsere bisher gesammelten Erfahrungen in der Gestaltung von Ausstellungen weiter zu vertiefen. Die Abtei Liesborn war als ehemaliges Kloster und jetziges Museum dafür ein guter Partner.

RI: Was können Sie unseren Leser:innen über die Autor:innen und die Beiträge in Ihrem Band erzählen?
LB: Ich glaube, der Vorteil an unserem Band ist, dass wir es geschafft haben Expert:innen aus dem ganzen Spektrum der modernen Regelspiele (Tabletop/Rollenspiele, digital und analog) zu vereinigen, die jeweils aus ihrem eigenen Blickwinkel ein spezielles Thema, nämlich die Frage der Umsetzung von Klosterkultur in Spielwelten besprechen. So gibt es einen Beitrag von Eugen Pfister und Tobias Winnerling über Klosterkultur in ›Magic the Gathering‹ und Jonas Renz untersucht Pen and Paper Rollenspiele. Es ist also für jeden etwas dabei. Hinzu kommen wissenschaftliche Reflektionen über (Kirchen-)Geschichte in Spielen allgemein und deren Einsatz in Museen.
AKF: Uns war es vor allem wichtig, neben theoretischen Zugriffen auch die Macher:innen der Spiele zu Wort kommen zu lassen und Praxisbeispiele einzubringen. So findet sich in dem Band ein Interview mit dem bekannten deutschen Brettspielautor Uwe Rosenber – ›Bohanza‹ dürfe dem einen oder anderen etwas sagen –, über dessen Spiel ›Ora et Labora‹. Außerdem gibt es einen Werkstattbericht über die Erstellung des Tabletop-Dioramas ›Dies Irae 795‹, das den Überfall von Wikingern auf ein irisches Kloster in Szene setzt. Der Band bietet also nicht nur für Wissenschaftler:innen, sondern auch für interessierte Spielende einen Mehrwert. Die Rückmeldungen und Rezensionen, die wir seit der Veröffentlichung erhalten haben, bestätigen erfreulicherweise, dass uns das wohl auch gelungen ist.

RI: Zuletzt möchte ich unsere Perspektive ein wenig öffnen: Die Grenze zwischen analogen und digitalen Spielen verschwimmt zunehmend. Welche Möglichkeiten und Herausforderungen sehen Sie in der Integration digitaler Elemente in traditionelle Brettspiele, und wie könnte eine Zusammenarbeit zwischen Brettspielentwickler:innen oder -autor:innen und Spielforscher:innen aussehen?
LB: Du sprichst da einen zentralen Punkt an. Unter Games Studies verstehen viele – gerade im deutschen Sprachraum – immer noch die Wissenschaft von digitalen Spielen. Dabei sind Games viel mehr als nur Bildschirmspiele und das moderne Brettspiel hat in den letzten Jahren enorm an Reichweite und Einfluss gewonnen. Deutschland ist tatsächlich Brettspielnation. Hier findet mit der ›SPIEL‹ in Essen die weltweit größte Messe für analoge Spiele statt und der Kritikerpreis Spiel des Jahres ist auch über die Landesgrenze hinaus ein Indikator für herausragende Spiele.
Mit unserer Forschung und Aktivitäten bei Bordgame Historian möchten wir genau diese Schieflage ändern und uns dafür einsetzten, dass analoge Spiele Teil der GameStudies werden und nicht bloß als Vorgänger digitaler Spiele gesehen werden. Als Medium mit eigenen Mechanismen der Welterzeugung benötigt man für die Untersuchung analoger Spiele allerdings eigene Analysemethoden. Dabei kann und muss man selbstverständlich von den bereits existierenden Arbeiten zur Untersuchung digitaler Spiele lernen. Man sollte sich aber davor hüten, diese einfach zu kopieren. Dafür gibt es dann doch zu viele Unterschiede.
AKF: Hinsichtlich der konkreten Zusammenarbeit zwischen Spieleforscher:innen und Spielebranche gibt es vielfältige Möglichkeiten. Zum einen wären da die direkten Kooperationen bei der Spielentwicklung. Anlässlich der Ausstellung ›Mönch ärgere dich‹ haben wir beispielsweise zusammen mit dem Verlag Lookout Games eine Erweiterung zu dem erfolgreichen Brettspiel ›Ora et Labora‹ herausgebracht. Gleiches planen wir nun für die Ausstellung Games machen Mittelalter.
Zum anderen können Forscher:innen aber auch wichtige theoretische Arbeit leisten, indem sie Designansätze bündeln und charakterisieren. Ein gutes Beispiel ist hier das Projekt ›EMPAMOS‹ von Prof. Dr. Thoma Voit aus Nürnberg. Gleichzeitig ist es wichtig, die kulturelle Bedeutung vom Medium an sich hervorzuheben, um die Akzeptanz gesamtgesellschaftlich für das Hobby zu erhöhen.
LB: Zuletzt möchten wir noch mal auf die Potenziale von Brettspielveranstaltungen in Museen bzw. Klöster hinweisen. Die Atmosphäre dieser Orte und die Möglichkeit zwischen Objekten der Vergangenheit zu spielen bietet einen ganz besonderen Reiz. Gleichzeitig gibt es den Institutionen und Forschern die Möglichkeit, neue Zielgruppen für ihre Arbeit zu erschließen. Bei unserer letzten Boardgame-Nacht im Museum Schnütgen durften wir 850 Gäste besuchen. Ein Erfolg für Verlage und Museum gleichermaßen.
Genau diese beiden Ansätze versuchen wir nun am Lab for Analog Games und Imaginative Play (LAGIP) an der Universität Bonn zu institutionalisieren.

RI: Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!

| RUDOLF THOMAS INDERST

Titelangaben
Boch/Falke/Püttmann/Steinbach (Hrsg.): Von bierbrauenden Mönchen und kriegerischen Nonnen
Klöster und Klerus in analogen und digitalen Spielen 
Stuttgart: Kohlhammer Verlagsgruppe 2023
257 Seiten mit 60 Abb., 28,80 Euro
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