/

Theater, oh Theater

Bühne | Nachtgespräche im Zimmer

Bühne | Nachtgespräche im Zimmer

Juhu, Hamburgs Bühnen haben wieder geöffnet! Und was tut Bunzel? Er ist ganz philsophisch vor Glück, denn er darf nicht nur auf den großen Durchbruch hoffen, sondern auch eine alte Flamme wieder auflodern lassen. Von MONA KAMPE

Ach ja, als Intendant und Schauspieler hat man es nicht leicht – besonders in Corona-Zeiten. Doch nach harten Wochen in seiner Einzimmerwohnung darf Ulrich Bunzel wieder aufatmen: er hat ein Vorsprechen, ein Gast-Engagement und darf zudem eine bekannte Schauspielerin in seinem Zimmertheater begrüßen. Und das ist nicht nur irgendwer: die große Doris Dorsch gibt sich die Ehre, in ihrer Heimat zu singen. Und das bei ihm – wo sie eine gemeinsame Vergangenheit haben.

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren und neben dem Spielplan für die kommende Woche muss Bunzel auch noch für ein Casting »binsen«. Er als reifer Professor, der Schopenhauer zitiert. Welch ein Segen! Schon bald ist er seinen lästigen Vermieter und die Geldsorgen los. Doch ganz zur Ruhe kommt der Obstverkäufer, der auf den großen Durchbruch hofft, nicht – nachts quälen ihn die Zukunftsgedanken. So verliert er sich zwischen Philosophie und Theaterliteratur und all seine Ängste teilt er mit Gerd, seinem Kühlschrank, der ihn nie im Stich lässt, sondern mit kühlem Kopf auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

Doch was ist nun? Der Brandauer soll seine Lebensgeschichte im Kino verkörpern? Welch Frechheit! Zu allem Überfluss verliert Gerd Lebensenergie und das Telefon steht nicht still. Ring, ring – das Glück, der Zufall …?

Nachtgespräche mit meinem Kühlschrank
Bild 2: Gerd ist Bunzels (Stephan Arweiler) treuer Zuhörer

Nahbarkeit in unnahbaren Zeiten

Das Hamburger ›Theater das Zimmer‹ inszeniert zu Saisonbeginn Klaus Pohls ›Nachtgespräche mit meinem Kühlschrank‹ und setzt damit ein positives Zeichen in Pandemiezeiten. Das Stück ist ein Aufschrei der Kulturszene, um ihren Überlebenskampf der letzten Monate sichtbar zu machen. Es ist eine Ode an die Bühnenkunst und ein Spiegelbild des Wahnsinns im Corona-Alltag.
Unter Regie von Sandra Kiefer spielt sich Stephan Arweiler in seinem Solo zur Höchstform und findet zwischen Theatralik und Philosophie die Menschlichkeit, die Träume, die Sorgen, die Hoffnung und die Verzweiflung, die uns alle aktuell bewegen. Gemeinsam machen sie das Unnahbare greifbar – mit einer großartigen Portion Humor.

Stephan Arweiler: Nachtgespräche Kühlschrank
Stephan Arweiler zieht es kurz einmal zum Philosophieren auf die Straße, denn ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen

Trotz der strengen Corona-Auflagen gelingt es dem kleinsten Theater Hamburgs, dass sich die Zuschauer an diesem Abend auf den 12 verbleibenden Plätzen pudelwohl fühlen. Mit Strategie und Herzensblut wird diese ungewöhnliche Premiere zum Erfolg. Ein Zeichen dafür, dass auch in schweren Zeiten viel möglich ist – mit Kampfgeist, Kreativität und Kulturliebe.

| MONA KAMPE

Titelangaben
Nachtgespräche mit meinem Kühlschrank
Theater das Zimmer
Mit: Stephan Arweiler
Regie: Sandra Kiefer
Fotos: Theater das Zimmer

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Classic Rock funktioniert

Nächster Artikel

Zwischen Kladderadatsch und Wischiwaschi

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Oper als Arbeit

Film | Auf DVD: Die singende Stadt. Calixto Bieitos Parsifal entsteht Wer ein Theater oder eine Oper besucht, sieht auf der Bühne ein abgeschlossenes Kunstwerk. Nicht zu erahnen ist, wie viel Stunden Arbeit von unzähligen Menschen, von denen sich nur ein kleiner Teil nach der Vorstellung verneigt, zu diesem Ergebnis geführt haben. Unter diesem Gesichtspunkt ist es zu verstehen, wenn die Beteiligten verärgert auf jede negative Kritik reagieren. Sie ist ja auch eine Missachtung der Anstrengungen, die sie investiert haben. Von THOMAS ROTHSCHILD

Das verfaulte Spiegelbild des Sozialen

Bühne | Zombie1_eine Schreckensbilanz Zombies gelten als das Lumpenproletariat des Horror-Genres – nicht so elegant, erotisch und aristokratisch wie Vampire – und in ihren Bedürfnissen wesentlich primitiver orientiert. Denn der Zombie strebt schlicht nach Menschenfleisch, primär Hirnmasse. Vielleicht auch, weil diesem Untoten die Eigenschaft des menschlichen Denkens abhandenkam. Das treibt ihn in die Peripherie der Gesellschaft, und sein fehlendes Bewusstsein macht ihn dazu noch völlig kritikunfähig. Von PHILIP J. DINGELDEY

Frische Frauenpower mit Sektwelle

Bühne | ›Sekt and the City‹ im LOLA Hamburg »FRAU« sitzt bei ihrer »Friseuse«, trinkt ein Sektchen und lästert über Gott und die Welt. Stimmt irgendwie – aber das geht tief und macht Spaß wie noch nie. Von MONA KAMPE

Die 80er in einem Sandkorn

Bühne | Mit Vollgas in die 80er

Die 1980er-Jahre sind wieder da, besonders auch in Karlsruhe. Aktuell ist eine Ausstellung über das Jahrzehnt der Glitzerklamotten, Schulterpolster, Neuen Deutschen Welle und anderer Accessoires dort im Schloss zu sehen. Im Sandkorntheater, einem 1956 gegründeten Privattheater, nahe des Mühlburger Tors und des Stadtteils Mühlburgs, begeistert zurzeit das Musical ›Mit Vollgas in die 80er. Das 80er-Musical mit Live-Band!‹ das Publikum. Von JENNIFER WARZECHA

Theater ist Aufwachen

Menschen | Zum Tod des Dramatikers Edward Bond

Wer Shakespeare auf der Bühne sterben ließ, war ein mutiger Mann sein, für den es keine Tabus zu geben schien. In ›Bingo‹ (1973) schickte Edward Bond Hamlets geistigen Vater in den Gifttod - als Strafe, weil er sich nicht an die humane Botschaft seiner Stücke gehalten habe. Bond seinerseits hat auf der Bühne stets provoziert. Von PETER MOHR