Der Vorhang hebt sich endlich wieder im kleinsten Theater Hamburgs, doch die Raumgröße erlaubt pandemiebedingt nur einen Darsteller auf der Bühne. Was nun? Die Intendanz hat eine Idee. Von MONA KAMPE
Kreon, der mächtige Herrscher Thebens hat gesprochen und der Verräter des Vaterlandes darf nicht bestattet werden. Polyneikes, der gegen seinen Bruder in den Krieg zog, ist der Zeremonie nicht würdig. Dessen Schwester Antigone setzt sich über das Verbot hinweg und ehrt ihn nach göttlichem Ritual mit Erde. Als ein Wächter Kreons sie erwischt, straft dieser sie damit, bei lebendigem Leibe begraben zu werden.
Antigone nimmt ihre Strafe an, da sie überzeugt ist, nach bestem Gewissen und in göttlichem Sinne gehandelt zu haben. Der Gehorsam gegenüber den Göttern ist ihr wichtiger als der gegenüber ihrem menschlichen Herrscher. Kreon hingegen glaubt sich allmächtig und allwissend und bleibt daher erbarmungslos. Sein Starrsinn zieht den Zorn seines Sohnes Haimon auf sich, der mit Antigone verlobt ist. Es kommt zum Streit, denn Kreon möchte nicht von seinem Gesetzespfad abweichen.
Tag um Tag liest Kreon Schriften und verabschiedet Gesetze. In seinem Wahn erkennt er nicht, welch schreckliche Tragödie die Menschlichkeit ihn kosten wird.
Im falschen Film
Um den Corona-Auflagen gerecht zu werden und nur mit einem Darsteller zu spielen, hat das ›Theater das Zimmer‹ ein neues Bühnenkonzept entwickelt, das mit ›Antigone‹ Premiere feiert. Als einziger Protagonist steht Vladimir Pavic als Kreon auf der Bühne, doch er hält keinen Monolog. Denn der Wächter, Antigone und Haimon sprechen mit ihm – auf der Leinwand! Durch geschickt abgestimmte, kluge Dialoge zwischen Bühnenkunst und Filmspiel gelingt dem Regisseur Jan Holtappels die kreative Verschmelzung zweier Medien zu einem großen Ganzen. Man glaubt, dass sich Eileen Weidel, Fridtjof Bundel und Hannes Träbert im gleichen Raum befinden und mit Kreon streiten. Oder sind sie etwa nur in seinem Kopf, während er Tag für Tag mit sich selbst diskutiert? Eine Einbildung des menschlichen Wahnsinns, der die Götter amüsiert?
Sophokles Tragödie bekommt durch das Medium Film eine erweiterte Dimension. Die schlichte Bühne im Schummerlicht erscheint plötzlich unendlich – und mit ihr die menschliche Unwissenheit, Überheblichkeit und damit ihr Untergang. Die Emotionen sind real und doch verzerrt, denn Kreon kann nicht aus seiner Haut, er kommt nicht von seiner Bühne weg, während alle anderen erscheinen und gehen. Der Mensch ist dem Zorn der Götter unterworfen oder doch nur seiner eigenen Blindheit und Unmenschlichkeit?
Es lohnt sich, mit Kreon und seiner Crew einen Blick in die Zukunft zu wagen. Auf eine neue Spielzeit. Eine andere Spieldimension. Eine einzigartige Spielkunst.
Titelangaben
Antigone
Mit: Vladimir Pavic, Eileen Weidel, Fridtjof Bundel und Hannes Träbert
Regie: Jan Holtappels
Foto: Bela Hoche