Nits und Mischa sind beste Freunde, solange sie denken können. Aber was weiß Nits tatsächlich über den Menschen, dem er vertraut und dem er sich nahe fühlt? Ein Lügengebilde bricht zusammen, sorgt für Verletzungen und neue Blicke auf den anderen. Von ANDREA WANNER
Nits erinnert sich. Wie sie beide auf dem Heimweg von der Grundschule immer die Enten erschreckt haben und die dann übers Wasser gelaufen sind. Wie in der Geschichte in Reli, als Jesus übers Wasser ging. Nits platzt fast vor Lachen. Mischa dagegen hat sich im Griff, wie immer. Sie sind so verschieden und ergänzen sich dabei perfekt: Nits hyperaktiv, immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, am besten gereimt. Und Mischa cool und zurückhaltend. In seinem ewigen weißen Hemd fällt er auf – angenehm. Er ist ein sehr guter Schüler und brilliert vor allem in Bio. Kein Wunder, denn seine Mutter ist Biologin und im Urwald unterwegs.
Das ist wenigstens das, was Nits glaubt, denn es ist das, was Mischa erzählt. Eine fehlende Badehose für den Schwimmunterricht bringt den Stein ins Rollen. Mischa behauptet, er habe eine schlimme Chlorallergie, bringt sogar ein Attest – alles Fake. Wie das ganze Leben, das er nach außen trägt. Die Wahrheit trifft seinen Kumpel Nits unerwartet: Nils Vater ist alleinerziehend und die Familie, zu der noch Mischas kleine Schwester Amy gehört, ist arm.
Nach ›Mein Sommer mit Mucks‹, ›Tanz der Tiefseequalle‹ und ›Der große schwarze Vogel‹ ist mit ›Feuerwanzen lügen nicht‹ ein viertes Buch von Stefanie Höfler für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.
Sie hat keine Scheu vor schweren, unbequemen Themen und mutet ihren jungen Leserinnen und Lesern einiges zu. Erzählt wird aus der Sicht von Nits, der in erster Linie sauer und maßlos enttäuscht ist. Wie konnte sein bester Freund das große Geheimnis jahrelang vor ihm verbergen. Aber wie genau hat er hingeschaut? Was wollte er tatsächlich wissen? War es nicht auch irgendwie ganz bequem, davon auszugehen, dass es bei Mischa daheim nicht viel anders läuft als für ihn in seiner wohlbehüteten Familie. Mischas Vater fand er immer cool, seine Gelegenheitsjobs eher spannend. Irgendwie war und ist er eine andere Art Erwachsener – was für Konsequenzen das für seine Familie hatte und hat, war ihm nicht klar.
Gleichzeitig wird die Scham spürbar, die Mischa aufgrund der prekären Situation zuhause spürt und mit der er klarkommen muss. Kann man einfach sagen, dass kein Geld für eine Badehose da ist? Was für erniedrigendes Gefühl ist es für einen Jungen, statt in einem normalen Supermarkt einzukaufen, vom Vater in die Tafel geschickt zu werden? Höfler lotet das Thema Kinderarmut aus und schaut dabei auch in dunkle, verborgene Ecken. Dass sich nebenbei so was wie ein Krimi entwickelt, weil Mischas Vater in unsaubere Geschäfte verstrickt ist, macht das lesen für das junge Publikum zusätzlich spannend.
»Reset« heißt das Zauberwort für die Freundschaft zwischen Nits und Mischa, die nach der harten Bewährungsprobe vielleicht die Chance auf einen Neuanfang hat.
Titelangaben
Stefanie Höfler: Feuerwanzen lügen nicht
Weinheim: Beltz & Gelberg 2022
234 Seiten, 15 Euro
Kinderbuch ab 11 Jahren
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