TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Lawine Die Sprache verändert sich, sagt Tilman, sicher, einige Worte geraten in Vergessenheit, andere tauchen auf. Nichts Neues, sagt Susanne abschätzig. Sie hat sich eine leichte Erkältung zugezogen und sich einen warmen Schal umgelegt, selbstgestrickt, lindgrün, sie trinkt einen Kamillentee, die beiden geben ein idyllisches Bild ab an diesem trüben Nachmittag. Das ist nicht so einfach, wie man glauben mag, und selbstverständlich ist es schon allemal nicht.
Menschen | Gesellschaft | Jürgen Klein: Dialog mit Koeppen Wir erleben Tag für Tag, wie der Alltag durch hoch verdichtete Kommunikation hysterisiert wird und der Aufreger von heute sich anderentags in Beliebigkeit auflöst – da entstehen zurecht Ängste, dass Eckpfeiler unserer kulturellen Tradition über kurz oder lang in dichten Nebeln verschwinden. Von WOLF SENFF
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sprache
Sie brennen vor Ehrgeiz, weshalb, wenn du fragst, sie wissen es nicht, das ist wahr, sie tun sich hervor, unsere Maulhelden, sie sitzen nicht, nein, sie stehen, es handelt sich um das ultimativ moderne Format, nein, sie sitzen nicht, sondern melden Anspruch an auf die gesamte Bühne, sie sprühen vor Aktivität, inszenieren ihre One-Man-Show, sie gestikulieren, sie tun souveräne Schritte, große Bewegungen, es handelt sich um eine Präsentation, die gespickt ist mit Floskeln, demonstrativ verbreiten sie den Glanz der eigenen Erscheinung und buhlen darum, bestätigt zu sein, ihr glatter, reibungsloser Auftritt entzückt das Publikum.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sut erzählt (5)
Walfang ist todesmutiger Kampf, eine blutrünstige Angelegenheit – was hätte das mit Harmonie zu tun? Doch Sut wäre nicht Sut, wenn die Männer sich seinen Worten hätten verschließen können, der Schein trügt. Termoth, dem Hünen, der seinen Schwarzen der ›Marin‹ als Schutzpatron galt, standen Tränen in den Augen, sogar Eldin stellte seine Sorgen zurück.
Keesta, der als heilig verehrte Dorfälteste, führte, so heißt es, sagte Sut, den Walfang an. Der erste Grauwal war in den späten Herbstwochen der Vorbote der großen Wanderung zu den südlichen Lagunen, im ausgehenden Frühjahr kündigte er die Rückkehr ins Beringmeer an.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sut erzählt (4)
Die Makah jagten den Wal anders als wir, sagte Sut.
Wie könne man den Teufelsfisch anders erlegen, fragte LaBelle verwundert, das interessiere ihn.
Auf hoher See, sagte Mahorner, jage man den Wal anders als wir mit der ›Boston‹ in den Lagunen, sei es das?
Nein, das meine er nicht, hielt Eldin dem rüde entgegen. Er war gereizt, eine Schulter schmerzte, alle Pläne drohten wie ein Kartenhaus einzustürzen, die Männer hatten ja keine Ahnung, doch er würde sich hüten, davon zu sprechen.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sut erzählt (3)
Die Makah, jene südliche indigene Gemeinschaft, von der er erzähle, sagte Sut, lebten am Kap Flattery auf der Olympic-Halbinsel südlich der Juan de Fuca-Straße.
Nicht mehr in Kanada, fragte Harmat.
Das Kap Flattery sei Territorium der USA, sagte Mahorner.
Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.
Crockeye rückte näher an die Flammen.
Sanctus schlug Akkorde auf seiner Gitarre an.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sut erzählt (2)
Als sich seit 1848 die Nachricht verbreitet habe, in der Wildnis um Sutters Mühle sei Gold zu finden, habe das Land einen nie erlebten Bevölkerungszuwachs erlebt. Kaum zwei Jahre seien vergangen, da hätten, sagte Sut, schon neunzigtausend Menschen in Kalifornien gelebt, und zwanzig Jahre später sage und schreibe eine halbe Million.
Allesamt eingewandert, fragte Bildoon.
Der beste Ort, sich aufzuhalten, sei das Meer, konstatierte Pirelli.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sut erzählt
Aus allen Gegenden der Welt drängten Immigranten zu den kalifornischen Claims, sagte Sut, sie erreichten die Stadt über den Pazifik oder zögen in langen Trecks von der Ostküste durch die Prärie und über die Rocky Mountains, eine gigantische Armutswanderung, sagte er, ein Goldrausch, nie dagewesen, der Mensch sei wie von Sinnen, der Kontinent sei in hellem Aufruhr.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Auf Fang
Nach den Tagen der Ohnmacht waren die Männer begierig darauf, dem Teufelsfisch nachzusetzen. Eldin ging noch behutsam mit der Schulter um. Die letzten Tage hatte er den linken Arm in einer Schlinge getragen, sein Wurfarm war zum Glück unbehelligt.
Die Wunden der anderen waren ausgeheilt. Scammon war ein geduldiger Commandeur, Zeit spielte keine Rolle, er hatte niemanden gedrängt.
Der Teufelsfisch sei tagelang provozierend unverfroren in der Lagune aufgetaucht, sagte Crockeye zornig.
Er zeige seine Fluke aber wie einen freundlichen Gruß, entgegnete Pirelli, wie eine Geste unter Nachbarn, als fühle er sich zu Hause.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sprachlos
Die Zustände seien unbeschreiblich. Farb lächelte.
Ihr fehlten die Worte, sagte Annika.
Erforderlich sei eine Wissenschaft des Zusammenbruchs, spottete Wette, in der die Stadien dieser Abläufe dargestellt würden und ebenso die Bedingungen für eine Eskalation, möglichst stufenweise, ähnlich der Richterskala, die vor kurzem für Erdbeben galt.

