TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Agonie Der Planet leidet Todesqualen. Du übertreibst, Susanne. Sagt Gramner. Gramner lebt zwei Jahrhunderte vor unserer Zeit. Er kann das nicht wissen. Sein Gespür ist untrüglich.
Kurzprosa | Tina Karolina Stauner: Cale-Raunacht Die Zuhörer im Quasimodo noch in Gesprächslaune. Small Talk und Namedropping. Jemand sagt: »Calexico und Simple Minds haben gerade eine neue CD raus.« Eine Frau, die sich ganz an den Bühnenrand drängt, schreit jemandem nach hinten zu: »Von John Cale haben wir doch auch eine CD, oder?«
Kurzprosa | François Loeb: Zeitweichen. Fast-Read-Romane François Loeb ist ein Relikt. Seine Erscheinung erinnert an die eines klassischen Gentleman, nonchalant, gebildet, beredt. Seinen Ruhestand hat sich der weltmännische Unternehmer, Politiker und Autor wohl verdient und darf ihn seinen Lieblingstätigkeiten widmen – ein beneidenswerter Zustand. Es passt zum Image des Bohemien, dass er in einem großen Schweizer Blatt seine Fast-Read-Romane veröffentlichen kann. Die vorliegende Printausgabe widmet er der Zeit. In Zeitweichen begegnet VIOLA STOCKER der Herausforderung, die Zeit nicht unnötig zu vergeuden.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Wasser, Wind Manchmal wird es beinahe zu viel, Ausguck. Die beiden Kadaver von der ersten Fangfahrt sind geflenst, wir liegen den vierten Tag in der Ojo de Liebre, den Schwarzen auf der ›Marin‹ geht die Arbeit aus. Trotzdem ist es auszuhalten, daß keine Arbeit anfällt. Der Ausguck nahm drei Schritt Anlauf und schlug einen Salto.
Textfeld | Wolf Senff: Angeschlagen Das Leben gehe an ihnen vorbei, klagen sie, sagte der Ausguck. Da kannst du von Glück reden, daß du unversehrt bist. Habe ich mich beschwert? Nicht daß ich wüßte. Der Ausguck stand auf und machte einen Handstand, dann lief er zum Wasser.
Kurzprosa | Patrick Modiano: Schlafende Erinnerungen »Es geht in meinen Büchern überhaupt nicht um mein eigenes Leben. Ich benutze nur Empfindungen, die ich gehabt habe, und Stimmungen, in denen ich gelebt habe«, bekannte Patrick Modiano, Nobelpreisträger des Jahres 2014, in einem seiner wenigen Interviews. Und doch schreibt der inzwischen 73-jährige französische Autor, für dessen umfangreiches Werk Paris mindestens ebenso wichtig ist, wie es Köln einst für Heinrich Böll war, stets sanft an seinem eigenen (Er)-Leben entlang. Von PETER MOHR
Textfeld | Konstantin Arnold: Litanei Es war gestern und es war spät. Ich weiß nur, dass es ungebrochene, unverheiratete Männer waren. Noch nie verwundet. Mit Kurzhaarschnitten und ehrlicher Arbeit. Dreck unter den Nägeln und den nötigen Kraftausdrücken. Sie hatten an langen bunten Strohhalmen gezogen und vor qualmenden Drinks gesessen. Da waren Nüsse und Aschenbecher so klar wie Kristalle, die das kalte Licht der Röhrenlampen mit etwas mehr Wärme zurück in den Raum schleuderten.
Erzählung | Erich Hackl: Am Seil »Ihr Tod in der Gaskammer, das wäre auch Lucias, Reginas Schicksal gewesen. Hätte es ihn nicht gegeben, Reinhold Duschka.« Mit diesem lapidar klingenden Satz lässt der Österreicher Erich Hackl seine Erzählung ›Am Seil‹ ausklingen. Zuvor hat er den Leser auf eine beklemmende Zeitreise geschickt, in der es um Leben und Tod, Vertrauen und Verrat geht. Von PETER MOHR
Prosa| Christopher Ecker: Andere Häfen Gründliche Navigation ist sicherlich kein Nachteil bei der Lektüre von Christopher Eckers Andere Häfen. Die nautische Zeichnung auf dem Cover des Erzählbands spricht für sich, wenn der Blick zur Odyssee des Autors wandert, welcher die Zustände und Abgründe der menschlichen Seele in siebenundachtzig Erzählungen ertastet. VIOLA STOCKER zückt den Kompass, um nicht im Labyrinth des Minotaurus verloren zu gehen.
TITEL-Textfeld | Iryna Fingerova: Spiritus Tief in der dunklen Nacht ging Addiktia einmal in die Küche, nahm ein Glas vom Tisch, schaute hinein – und verschwand. Ohne zu zögern hatte das Glas die junge Frau geschluckt. Verzweifelt wand sich Addiktia im reißenden Wasser und schlug mit der Stirn gegen Wände aus Glas, und diese Wände waren die Eingeweide des reißenden Wassers, und von den Schlägen wuchsen ihr Beulen wie Tannenzapfen auf der Stirn.