Textfeld | Konstantin Arnold: Litanei Es war gestern und es war spät. Ich weiß nur, dass es ungebrochene, unverheiratete Männer waren. Noch nie verwundet. Mit Kurzhaarschnitten und ehrlicher Arbeit. Dreck unter den Nägeln und den nötigen Kraftausdrücken. Sie hatten an langen bunten Strohhalmen gezogen und vor qualmenden Drinks gesessen. Da waren Nüsse und Aschenbecher so klar wie Kristalle, die das kalte Licht der Röhrenlampen mit etwas mehr Wärme zurück in den Raum schleuderten.
Erzählung | Erich Hackl: Am Seil »Ihr Tod in der Gaskammer, das wäre auch Lucias, Reginas Schicksal gewesen. Hätte es ihn nicht gegeben, Reinhold Duschka.« Mit diesem lapidar klingenden Satz lässt der Österreicher Erich Hackl seine Erzählung ›Am Seil‹ ausklingen. Zuvor hat er den Leser auf eine beklemmende Zeitreise geschickt, in der es um Leben und Tod, Vertrauen und Verrat geht. Von PETER MOHR
Prosa| Christopher Ecker: Andere Häfen Gründliche Navigation ist sicherlich kein Nachteil bei der Lektüre von Christopher Eckers Andere Häfen. Die nautische Zeichnung auf dem Cover des Erzählbands spricht für sich, wenn der Blick zur Odyssee des Autors wandert, welcher die Zustände und Abgründe der menschlichen Seele in siebenundachtzig Erzählungen ertastet. VIOLA STOCKER zückt den Kompass, um nicht im Labyrinth des Minotaurus verloren zu gehen.
TITEL-Textfeld | Iryna Fingerova: Spiritus Tief in der dunklen Nacht ging Addiktia einmal in die Küche, nahm ein Glas vom Tisch, schaute hinein – und verschwand. Ohne zu zögern hatte das Glas die junge Frau geschluckt. Verzweifelt wand sich Addiktia im reißenden Wasser und schlug mit der Stirn gegen Wände aus Glas, und diese Wände waren die Eingeweide des reißenden Wassers, und von den Schlägen wuchsen ihr Beulen wie Tannenzapfen auf der Stirn.
TITEL-Textfeld | Iryna Fingerova: Sublimation Am Morgen wachte Addiktia auf, wusch sich, spülte den Mund mit einem Aufguss von Eichenrinde und geriet ins Brüten, warum in aller Welt sie eigentlich lebte. Aber kaum hatte sie sich ihren Grübeleien hingegeben, da kam schon ein leeres Blatt Papier durchs Fenster geflogen und begann sie zu würgen. Als das Blatt damit fertig war, stand sie plötzlich in einem schönen Bürokleid da. Das Blatt riss Addiktia von den Beinen, lupfte sie auf seinen Rücken, als wäre es ein fliegender Teppich, und flog zum Fenster hinaus.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Vom Schiffbruch der ›Essex‹ eins Sut erzählt wahre Geschichten?, fragte Mahorner. Sie sind wahr, ich denke schon, sagte Pirelli. Er habe Sut nie danach gefragt, weshalb auch. Ob es Jens Eschels je gab?, fragte der Ausguck.
Textfeld | Wolf Senff: Scammon und der Wal eins Gramner hatte seine Kombüse vor dem Großmast. Der Nachmittag ging zu Ende, und die Männer kamen vom Strand, sich Essen zu holen. Die meisten ließen sich anschließend erschöpft auf dem Vorderdeck nieder und waren froh, zu essen. Scammon ging nach mitschiffs zu den Verwundeten, erkundigte sich nach ihrem Zustand, blickte besorgt nach Eldins lädierter Schulter und schlug Harmat, Crockeye und Mahorner vor, sie sollten morgen hinaus auf den Ozean rudern und dort den Teufelsfisch auskundschaften. Wer sie begleiten wolle, dem sei es erlaubt. Dort zu jagen sei nicht beabsichtigt.
Prosa | Hanns-Josef Ortheil: Was ich liebe und was nicht Ein großer Flaneur und Fabulierer öffnet sein Innenleben, gesteht seine Neigungen und Sympathien, sein Missfallen und Widerstreben. Hanns-Josef Ortheils vielgestaltiger Essayband ›Was ich liebe und was nicht‹ verbindet unterschiedliche Ausdrucksformen mit scheinbar alltäglichen Themen, leicht, schwebend, unterlegt mit einer guten Prise Selbstironie. Von INGEBORG JAISER
Prosa | Charles Dickens: Reisender ohne Gewerbe Wer Dickens sagt, meint so gut wie immer dickbäuchige Romane. Seit Kurzem gibt es aber – wohl zur Feier seines 200. Geburtstags am 7.2.2012 – in der »textura«-Reihe des C.H. Beck Verlages einen schmalen Band mit dem Titel Reisender ohne Gewerbe, in dem die Übersetzerin Melanie Walz sieben journalistische Arbeiten des späten Dickens erstmals auf Deutsch herausgegeben, kommentiert & mit einem aufschlussreichen Nachwort versehen hat. Von WOLFRAM SCHÜTTE
Erzählung | Arno Geiger: Der alte König in seinem Exil Arno Geiger erzählt von der Demenz: Der alter König in seinem Exil. Von WOLFRAM SCHÜTTE